115 $ 15. Der Materialismus.
mit all ihren Eigenschaften und Bestimmungen ist nur ein ab-
gekürzter Ausdruck für die Zusammenhänge, die wir an
den Erscheinungen als solchen finden. Diese rein empiristische
Auffassung der naturwissenschaftlichen Theorien entspricht der
heraklitischen Weltanschauung: als das Bleibende gilt in ıhr
nur das Gesetz der Erscheinungen, und alle Hilfsbegriffe
haben nur so weit eine Bedeutung, als sie der Darstellung
dieses Gesetzmäßigen in den Erscheinungen dienen.
— Ganz anders, wenn den hypothetischen Begriffen des
naturwissenschaftlichen Weltbildes ein selbständiges Da-
sein zugesprochen wird, wenn sie hypostasiert und als eine
besondere, von den Erscheinungen verschiedene Welt diesen
entgegengesetzt werden. Sobald stillschweigend oder ausdrück-
lich die Ansicht zugelassen wird, daß das eigentliche Wesen
der Welt in jenen Atomen und ihren Bewegungen bestehe, ist
die notwendige Folgerung die, daß die Wahrnehmungen unserer
Sinne, die unmittelbar gegebenen Erscheinungen also, uns vorn
der Welt ein falsches Bild geben, weil sie ums eben nicht
jene Atome und ihre Bewegungen erkennen lassen. Die KEr-
scheinungen sind also für diese Ansicht eine minder-
wertige Erkeuntnisquelle, ein bloßer Sinnentrug:
tatsächlich existiert nichts als die Materie und ihre
Bewegungen. |
Es bedarf nicht der Bemerkung, daß diese Ansicht durch.
aus dogmatisch ist, da sie die Begriffe von Materie und Be-
wegungen der Materie als gegeben voraussetzt, ohne sich
um deren Herkunft zu kümmern. Wie die empiristische‘ An-
sicht der heraklitischen, so entspricht diese dogmatische An-
sicht der eleatischen Lehre, indem sie eine Welt des bleiben-
den Seins als „wahre Welt“ der Erscheinungswelt entgegensetzt.
Die natürliche Entwicklung führt zunächst zu eben dieser
zweiten, „materialistischen“ Auffassung. Solange im indivi-
duellen Denken der Gegensatz zwischen der objectiven Welt
und den Erscheinungen der Sinne noch nicht‘ die Aufmerk-
sanıkeit auf sich gezogen hat — solange mit anderen Worten
der naive Zustand fortdauert, in welchem alle Urteile sogleich
auf die Gegenstände bezogen werden und somit alle Frage-
stellungen sich von vornherein auf Vorgänge in der objectiven
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