115 $ 15. Der Materialismus.
die Bedingungen alles Daseins. Auch der Mensch ist nur ein
Mechanismus, dessen sämtliche Functionen sich mit derselben
ehernen Notwendigkeit voliziehen, wie die Entladung des
Blitzes oder die Bewegung der Planeten. Die materialistische
Theorie kann folgerichtig auch der Gesamtheit dieser Lebe-
wesen -— diesem „Schimmelüberzug“ unseres Planeten — nicht
jenen ausnahmsweisen Wert zugestehen, den der Mensch sich
und seinen Bestrebungen zu vindicieren gewohnt ist. Was ist
der Wassertropfen dieser ganzen kleinen Menschenwelt gegen-
über dem grenzenlosen Meere des Alls? -— Aber nicht genug
mit dieser wohlberechtigten Mahnung zur Demut und Be-
scheidenheit. Auch der Stolz auf die vermeintlich großartig-
sten Errungenschaften höchsten menschlichen Bestrebens —
der Kräfte unseres Geistes und der Kunstfertigkeit unserer
Hände — wird uns grausam entwunden. Welcher Irrtum ist
es, wenn wir meinen selbst zu schaffen — und wieviel größer
noch ist der Irrtum, wenn wir die Ergebnisse dieses Schaffens
für irgend wertvolle Leistungen halten! Nur das Natur-
gesetz ist es ja, das die Atome unserer Nerven und Muskeln
in unausweichlicher Folgerichtigkeit in jene bestimmten Be-
wegungen versetzt, deren Ergebnisse wir fälschlich für Leistungen
unseres freien Strebens und Wollens halten; nur die Leistungen
eines Automaten sind es -— einer höchst complicierten
Maschine freilich, aber doch eben nur einer Maschine — die
wir als unsere Kunst- und Geistesproducte bewundern und
werten. Der tatsächliche Wert dieser Producte steht auf
derselben‘ Stufe mit dem Werte jedes beliebigen Naturpro-
ductes: auch unsere vermeintlich höchsten Gedanken sind nichts
als natürliche Stoffwechselproducte — „Secrete unseres Gehirns“
und als solche nach dem Ausspruch eines modernen Materialisten
um nichts wertvoller und merkwürdiger als die Secrete unserer
Nieren. /
Daß zugleich mit dem Glauben an die Freiheit unserer
Entschließungen auch alle Erwägungen über den sittlichen
Wert unserer Handlungen und über unsere Verantwortlichkeit
für diesen Wert in Nichts zerfließen, bedarf nicht der Erwäh-
nung. Ebensowenig Raum bleibt für den Gedanken einer
Fortsetzung unseres Lebens nach dem Tode. Wenn alle unsere