Aristoteles. 143
sich richte — wodurch zugleich die Idee des Guten als des
höchsten Zweckes allen übrigen Ideen übergeordnet wird —
gibt keine Antwort auf jene Frage, die vielmehr für den
platonischen wie für jeden anderen Dualismus auf immer ein
unlösbares Problem bleibt.
Die Lehre des Aristoteles, daß die Ideen nicht jen-
seits der Dinge, sondern in den Dingen zu suchen sind, be-
deutet zunächst gegenüber der platonischen Zweıweltentheorie
einen wesentlichen Fortschritt im empiristischen Sinne. Dem
Gattungsbegriff kann keine höhere Wirklichkeit zukommen,
als den darunter befaßten Einzeldingen; die Idee verwirklicht
sich nur in eben diesen begrifflich bestimmten Einzel-
dingen. Da aber auch Aristoteles das beharrliche Sein im
Einzeldinge nicht anders als mit Hilfe jener begrifflichen
Formen bestimmen kann, die dem platonischen System zu
Grunde liegen, die Ableitung des Beharrlichen als eines gesetz-
mäßigen Zusammenhangs der Erscheinungen dagegen nicht zu
gewinnen weiß, kann er so wenig wie sein Vorgänger zu
einer für die Erklärung der Erscheinungen genügenden Theorie
gelangen. Seine Metaphysik müht sich vergeblich, durch neue
Begriffsbildungen — den Begriff der Entwicklung vom bloß
möglichen Seiu des „Stoffes“ zur Verwirklichung in einer
begrifflich bestimmten „Form“ —- den rationalistischen Ge-
danken für das Begreifen der Veränderungen in der sinnlichen
Welt fruchtbar zu machen. Tatsächlich kann auch diese
Theorie dem Vorwurf nicht entgehen, den ihr Urheber gegen
die Lehre Platons erhebt: auch sie hypostasiert begriffliche
Formen zu selbständigen Wesen. Denn jener Begriff der
„Form“, durch welchen überall die im „Stoff“ gelegenen Mög-
lichkeiten ihre Verwirklichung erhalten, ist nur als das zum
Gattungsbegrif hinzutretende Artmerkmal definiert; — die
„Verwirklichung“ der in dem Gattungsbegriff gelegenen Mög-
lichkeit ist eben seine nähere Bestimmung durch dieses
hinzutretende Artmerkmal. Trotzdem wird das letztere unter
dem Namen der „Form“ in der aristotelischen Metaphysik
durchgängig wie ein selbständig existierendes und wirkendes
Wesen behandelt, d. h. das bloß begrifflich Gegebene wird zum
Wirklichen und zum KErklärungsprincip für alles Geschehen er-