Full text: Einleitung in die Philosophie

$ 26. Gestaltqualitäten. 
die Tatsachen unseres psychischen Lebens und insbesondere, 
die Entwicklung unseres Erkenntnisbesitzes vollständig verstehen 
und überschauen. 
Die Reilationsfärbung. 
Zunächst lassen sich mit-Hilfe des gewonnenen Begriffes 
der Gestaltqualitäten die Phänomene der Erinnerung und 
des Wiedererkennens von Complexen vollständiger be- 
schreiben als zuvor. Die obige Betrachtung zeigt einerseits, 
daß das früher erwähnte „Wiedererkennen eines Complexes 
im Ganzen ohne ein Wissen von seinen Teilen und deren 
Beziehungen“ identisch ist mit einem Wiedererkennen der Ge- 
staltqualität eben dieses Complexes ohne gleichzeitiges 
Wiedererkennen der Merkmale seiner Teilinhalte und der be- 
sonderen Gestaltqualitäten der Teilcomplexe, in welche er er. 
zu zerlegen ist. Andererseits zeigt dieselbe Betrachtung, daß 
es zur Erinnerung an einen Complex keineswegs genügt, 
wenn wir uns seiner einzelnen Teilinhalte erinnern: nicht 
durch die. Teilinhalte allein, sondern auch durch deren sämt- 
liche gegenseitige Beziehungen und die weiteren auf diese 
Beziehungen gegründeten Gestaltqualitäten ist der Complex als 
solcher charakterisiert. Jedem Inhalte haften je nach seiner 
Stellung zu anderen Inhalten die bestimmten Beziehungen zu 
den letzteren an und die Gestaltqualität des Complexes, dem 
der betrachtete Inhalt angehört, bleibt als besondere „Färbung“ 
(„Relationsfärbung“, „relation-fringe“ nach James) dieses In- 
halites auch da bestehen, wo wir die übrigen Teile des Com- 
plezes nicht beachten. Der Ton c „mutet uns anders an“, 
wenn ihm f, als wenn ihm g vorausgegangen ist; wenn ich 
in einem Musikstück ausschließlich auf die melodieführende 
Stimme achte, erhalten deren Töne doch je nach ihrer Con- 
sonanz oder Dissonanz mit den übrigen Stimmen einen ver- 
schiedenartigen. „Charakter“; ein Bild macht einen anderen 
„Eindruck“ in dem Chaos einer Gemälde-Ausstellung, als in 
einem ruhig gestimmten Raume u. 8. W. 
Dieses durch die umgebenden Inhalte bedingte Färbung: 
überträgt sich auch auf die Erinnerung an die betreffenden Er- 
Jlebnisse; auf eben diese Färbung gründet sich in letzter Instanz 
die Bestimmung unserer Gedächtnisurteile. 
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