Full text: Einleitung in die Philosophie

Die Relationsfärbung. 240 
Schon früher wurde bemerkt, daß die nähere zeitliche 
Bestimmung jedes erinnerten Inhaltes nur dadurch zu Stande 
kommt, daß er als Teil eines größeren Complexes erinnert 
wird: nur durch seine miterinnerten Beziehungen zu anderen 
Inhalten (und mittelbar zur Gegenwart) wird ihm seine be- 
stimmte Stellung in der Succession unserer Erlebnisse ange- 
wiesen. Diese Zugehörigkeit des erinnerten Inhaites zu einem 
bestimmten Gedächtniscomplexe gibt sich uns nun aber keines- 
wegs jedesmal so zu erkennen, daß die einzelnen Glieder dieses 
Complexes unterschieden würden; vielmehr außerordentlich 
häufig in der Weise, daß dem betreffenden erinnerten Inhalte 
nur jene eigentümliche Färbung anhaftet, die wir nach dem 
Vorigen als die Gestaltqualität des zugehörigen Complexes 
bezeichnen müssen. Wenn ich an die Ruinen von Paestum 
denke, so stellt sich diese Erinnerung mit einem gewissen 
„Charakter“ ein, der mich unmittelbar zu dem Urteil veran- 
laßt, daß ich diese Ruinen auf meiner Reise nach Unteritalien 
gesehen habe, ohne daß ich darum zugleich im Einzelnen an 
die übrigen Umstände denken muß, welche diesem Anblicke 
vorhergingen und folgten (wenn auch freilich die Erinnerung 
dieser anderen Erlebnisse sich einstellt, sobald ich einige Zeit 
bei dem Gedanken an jene Reise verharre). Daß diese Färbung 
der erinnerten Inhalte denselben nicht etwa willkürlich bei- 
gelegt werden kann, sondern — wo sie überhaupt beachtet 
ist — ein wesentliches Merkmal zur Unterscheidung zwischen 
Erinnertem und bloß in der Phantasie Vorgestelltem abgibt, 
zeigt am besten die Erinnerung an soeben Vergangenes. 
Wenn ich soeben den Ton a@ gehört habe und mich. desselben 
jetzt erinnere, so ist freilich sein Gedächtnisbild als solches 
genau dasselbe, wie wenn ich mir den Ton zu anderer Zeit 
„bloß vorstelle“; aber die Färbung dieses Gedächtnisbildes, 
welche im ersteren Falle durch die zeitliche Beziehung 
des eben gehörten Tones zu dem KErlebnis meines 
jetzigen Augenblickes bedingt erscheint, ist völlig ver- 
schieden. von der Färbung des „bloß vorgestellten“ Tones und 
kann in keinem Falle willkürlich dem bloß vorgestellten In- 
halte hinzugefügt werden. Wie allgemein die Relationen 
zwischen concret gegebenen Inhalten mit eben diesen Inhalten
	        
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