Unbemerkte Gedächtnisbilder. 11
wenn wir „in unserem Gedächtnisse -— ev. vergeblich —
nach diesem Tone suchen“. In anderen Fällen ist solche nach-
trägliche Beeinflussung durch Vergangenes, während wir uns
dessen nicht ausdrücklich erinnern, bekannter und leichter zu
bezeichnen. Durch bestimmte Erlebnisse wird unsere folgende
„Stimmung“, die Beschaffenheit unseres Bewußtseinszustandes
dauernd merklich. alteriert: nachdem wir zum erstenmal ein
griechisches Drama oder Goethes Faust gelesen haben, nach-
dem wir zum erstenmal Rom oder das Meer gesehen haben,
sind wir dauernd Andere geworden als zuvor -— der Hınter-
grund unseres Bewußtseins, auf welchera sich alle beachteten
Erlebnisse abspielen und durch den sie alle gleichsam ihren
Farbton erhalten, ist nicht mehr derselbe wie früher. Und
wiederum fassen wir diese Änderungen unseres Gesamtzustandes
mit den einzelnen Erscheinungen, welche wir als die „Ermne-
rung“ an jene Erlebnisse bezeichnen, durch die oben beschrie-
bene Begriffsbildung zusammen: wir sprechen von einem blei-
benden Factor unseres Gedächtnisses, dessen wir bald in Form
jener Änderung unserer gesamten Gemütsverfassung, bald in
Form einzelner. Erinnerungen uns bewußt werden. Je nach
der „Richtung unserer Aufmerksamkeit“*) tritt das eine oder
das andere Phänomen uns entgegen. Wie wir in einem Zu-
sammenklange bald dem einem, bald dem anderen Tone unsere
Aufmerksamkeit zuwenden können, während beim Nachlassen
unserer Aufmerksamkeit diese + Töne wieder in der Gesamt-
färbung des Klanges verschwinden, so ergeht es uns auch mit
den Nachwirkungen unserer vergangenen Erlebnisse. Mit dem-
selben Rechte und vermöge derselben Begriffsbildung, die uns
davon sprechen läßt, daß in dem Klange die einzelnen Töne
„unbemerkt“ enthalten seien, auch während wir sie nicht ge-
sondert heraushören, fällen wir ein entsprechendes Urteil auch
über die Nachwirkungen unserer vergangenen Erlebnisse. Alle
1) Mit diesem Namen faßt die Sprache jene uns allen bekannten,
aber im einzelnen hier nicht zu beschreibenden Bedingungen zu-
sammen, von. welchen das Auftreten der einen oder der anderen Wirkung
jener Factoren unserer Persönlichkeit abhängt. (Zur Vermeidung von
Mißverständnissen vergleiche man die Deänition des Begriffes der Be-
dingung; s. 0. S. 259.)