Naturerklärung, 357
da hat zugleich auch unser wissenschaftliches Erkennen seine
Grenze.
Jeder Fortschritt unserer Erkenntnis aber muß sich in
eben jene begrifflichen Formen kleiden; jede neue Erscheinung
muß unter gesetzmäßige Zusammenhänge eingeordnet werden,
damit wir sie begreifen, damıt sie uns nicht mehr als ein
Fremdes und Bennruhigendes entgegentritt. Wo immer daher
eine neue Tatsache unseren bisherigen Begriffen, den bisher
bekannten Zusammenhängen zu widersprechen scheint, kann
unser Denken keine Ruhe finden, ehe es diesen Widerspruch
beseitigt, indem es das allgemeinere Gesetz nachweist, dem
wir sowohl die von früher her bekannten Zusammenhänge, als
auch den nenen, den früheren enigegengesetzten Fall unter-
ordnen können. Dieses im Mechanismus unserer Begriffsbildung
begründete Streben ist es, welches in der Forderung einer Ur-
sache für jede Erscheinung, in dem „allgemeinen Causalgesetze‘,
seinen populären Ausdruck findet.
Unsere allgemeinen Begriffe nnd Gesetze, die wir auf
Grund unserer Erfahrungen formalieren, um eben diese KEr-
fahrungen zu begreifen, d.h. dem Ganzen unseres Erkenntnis-
besitzes einzuordnen, gelten daker als allgemein nur unter
der Restrietion, welche in dem genannten Gesetze ihren Aus-
druck findet: wir geben in jenen Formen unsere Erfahrungen
als allgemeingültig wieder mit dem Vorbehalt, daß jeder
Widerspruch gegen die Allgemeingültigkeit durch die Berück-
sichtigung einer neuen, in jener allgemeinen Formulierung noch
nicht berücksichtigten Bedingung sich mit den fraglichen Er-
fahrungen vereinbaren, d. h. unter einem höheren Gesichts-
punkte zusammenfassen lassen muß. Was wir einmal aus-
schließlich auf Grund unserer Krfahrungen als Gesetz formuliert
s haben, kann hiernach durch spätere Erfahrungen nicht etwa
; umgestoßen werden: das Einzige, was die neuen. Erfahrungen
| bewirken können, ist entweder eine Vereinfachung der
Form des betreffenden Gesetzes oder die Unterordnung des-
selben unter ein allgemeineres Gesetz, welches ein weiteres
Gebiet von Erfahrungen umfaßt -— und insofern abermals eine
weitere Vereinfachung in der Gesamtheit unseres Krkenntnis-
besitzes bedingt.
Cornelius, Kinleitung in die Philosophie. 2. Aufl,
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