Transscendentaler Idealismus. 343
so enthält diese Untersuchung doch alle Elemente, deren con-
sequente Weiterbildung zu der rein empiristischen Weltansicht
führen mußte. Speciell derjenige Teil des Kantschen Werkes,
welcher die Lösung der Antinomien zum Gegenstande hat,
liefert den unzweideutigen Beweis für die Wesensgleichheit
des transscendentalen Idealismus mit dem hier begründeten
reinen Empirismus. Im Widerspruche mit dem letzteren stehen
bei Kant nur jene Punkte, auf deren Unvereinbarkeit mit den
übrigen Bestimmungen der Kantschen Theorie bereits weiter
oben hingewiesen wurde: die Raumlehre der transscendentalen
Ästhetik und der gelegentliche positive Gebrauch des Begriffs
eines transscendenten Dinges an sich als Grundlage der Er-
scheinungen. Daß im Vorigen die empiristische Weltansicht
auf rein psychologischer Grundlage entwickelt wurde, be-
dingt nur einen scheinbaren Widerspruch zu der erkenntnis-
theoretischen Untersuchung Kants, der seine Überlegungen
durchgängig von psychologischen Voraussetzungen freizuhalten
bestrebt ist. Tatsächlich vermag auch er seine Betrachtung
doch nur auf psychologischer Grundlage aufzubauen: insbeson-
dere ist die fundamentale Untersuchung der transscendentalen
Analytik, die „Zergliederung des Verstandesvermögens“, von
Anfang bis zu Ende rein psychologische Analyse.*)
Indem die consequent empiristische Weltansicht uns die
Entstehung und Bedeutung unseres Erkenntnisbesitzes aufzeigt,
erfüllt sie die Forderung, welche die einleitenden Betrachtungen
uns an das philosophische Denken stellen ließen. Indem sie
1) Nicht gleichbedeutend mit der im Vorigen entwickelten Welt-
anschauung sind jene Abarten des Empirismus, die —- wie etwa der
Empirismus J. St. Mills — nur einen Teil der psychologischen Tat-
gachen beachten, welche beim Aufbau unseres Weltbildes beteiligt sind
und daher namentlich von der Entstehung unserer Begriffe und von den
Bedingungen der Allgemeingültigkeit unserer Erfahrungsurteile nur un-
vollständig Rechenschaft geben. Im Gegensatze zu diesen Theorien mag
die oben gewonnene Ansicht als consequenter oder erkennf£nis-
theoretischer Empirismus bezeichnet werden. (Die Gefahr einer
Verwechslung dieses erkenntnistheoretischen Empirismus mit einem
naturalistischen‘, Scheinempirismus, wie ihn etwa der „Positivismus‘
Comtes repräsentiert, dürfte ohnedies ausgeschlossen sein.)