Full text: Einleitung in die Philosophie

4) $ 5. Dogmatismus und Empirismus. 
Entwicklung zustrebt, kann nur der reine, von allen dogmati- 
schen Voraussetzungen geläuterte Empirismus sein. | 
Wesen der empirischen Erklärung. 
Im Gegensatze zu jeder Erklärung, die mit dogmatischern 
Begriffen operiert, enthält die rein empirische Erklärung nach 
dem Vorigen nichts als diejenige begriffliche Zusammenfassung 
der Merkmale unserer Erfahrungen, durch welche die zu er- 
klärenden Erscheinungen mit anderen, bekannteren Erscheinungen 
unter einen einheitlichen Gesichtspunkt gebracht werden. Jede 
empirische Erklärung kann demgemäß auch bezeichnet werden 
als zusammenfassende Darstellung oder Beschreibung 
einer größeren Reihe von Erfahrungen unter einem 
einheitlichen Gesichtspunkt. 
Den Erklärungswert solcher Beschreibung erkannten 
wir oben als begründet in der Vereinfachung unseres 
Denkens, welche durch jede derartige Zusammenfassung 
geleistet wird. Wir nehmen auf diese Erkenntnis Bezug, 
indem wir allgemein die rein empirische oder wissenschaft- 
liche Erklärung der Tateachen definieren als vereinfachende 
zusammenfassende Beschreibung unserer Erfah- 
rungen.*) 
Im Newtonschen Gesetz fanden die sämtlichen Planeten- 
bewegungen ihre zusammenfassende Beschreibung: die 
mannigfaltigen Eigentümlichkeiten dieser Bewegungen lassen 
sich sämtlich durch mathematische Analyse aus der Formel 
des Gravitationsgesetzes ableiten, sind also in der Tat durch. 
diese Formel mitbeschrieben. Ebenso geben die früher er- 
wähnten naturwissenschaftlichen Theorien jeweils eine Dar- 
stellung, ein zusammenfassendes Bild der verschiedensten Eigen- 
tümlichkeiten der betreffenden Naturerscheinungen: wir können 
mit Hilfe dieses Bildes die Gesamtheit der fraglichen Erschei- 
nungen gleichsam mit einem Blick überschauen. Wesentlich 
für diese rein empirischen Erklärungen ist, daß der erreichte 
Gewinn an Klarheit nicht durch die Unklarheiten beeinträchtigt 
1) Vgl. G. Kirchhoffs Definition der Mechanik (Mechanik, erste 
Vorlesung $ 1). 
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