Full text: Einleitung in die Philosophie

Hypothesen als Bilder. 45 
jeder dogmatischen Voraussetzung freien, rein empirischen Dar- 
stellung der Tatsachen zu stempeln, haben wir ums. also nur 
dahin auszudrücken, daß die betreffenden Erscheinungen sich 
so verhalten, als ob ihnen die in der Hypothese bezeich- 
neten Verhältnisse zu Grunde lägen — daß also z. B. die Kör- 
per sich in ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften 
so verhalten, als ‚ob sie aus Atomen mit jenen bestimmten 
Eigenschaften bestäünden. Jede über diese rein bildliche Auf- 
fassung der Hypothese hinausgreifende Hypostasierung der 
hypothetischen Vorstellungen verrät einen Mangel historischer 
Kenntnis oder historischer Kritik: sobald wir uns fragen, wo- 
her der Autor der Hypothese das Recht zur Aufstellung der- 
selben genommen hat, wie weit wir durch Erfahrungstatsachen 
von der in der Hypothese ausgesprochenen Behauptung ein 
Wissen besitzen, kann die Antwort nur im obigen. Sinne 
Jauten.!) 
Mit der hier dargelegten, historisch und sachlich allein 
berechtigten Deutung der hypothetischen Hilfsvorstellungen 
wird zugleich die irrige Vorstellung beseitigt, als ob der Weg 
der naturwissenschaftlichen Erklärung dahin ziele, Begriffs- 
bildungen ohne anschaulichen Gehalt an die Stelle der an- 
schaulich gegebenen Mannigfaltigkeit der Tatsachen zu setzen. 
Die Forderung, sich die rein bildliche Bedeutung der Hypo- 
thesen stets vor Augen zu halten, ist nicht etwa überflüssige 
Pedanterie. Dogmatische Annahme von Hypothesen ist eines 
der hartnäckigsten Hindernisse des Fortschritts wissenschaft- 
licher Erkenntnis. Wer sich gewöhnt, die Hypothese, die 
doch jeweils nur einem mehr oder minder beschränkten Er- 
scheinungskreise angepaßt ist, für eine erwiesene Tatsache an- 
1) Man vergleiche zu den Ausführungen des Textes die vorsichtige 
Fassung, welche Newton seinem. Gravitationsgesetze gegeben hat. — 
Die Erkenntnis, daß die Naturwissenschaften nur so lange Erfahrungs- 
wissenschaften bleiben, als sie die oben formulierte Auffassung der 
Hypothesen beibehalten, gewinnt erfreulicherweise in naturwissenschaft- 
lichen Kreisen mehr und mehr an Boden. Der Ruhm, zuerst diese Er- 
kenntnis ausgesprochen und den Kampf gegen den Dogmatismus in 
der Naturforschung eröffnet zu haben, gebührt den Physikern Gustav 
Kirchhoff und Ernst Mach. 
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