unterscheiden. In den Programmen war darum mehr vom Sittlichen
als vom Künstlerischen die Rede. Dadurch aber wurde die Stilfrage
zu einer Gesinnungsfrage. Die Barockformen hatten alles andere
ausgeschlossen durch ihr Dasein allein, durch ihre Unzweideutig-
keit; die Formen des Klassizismus wollten das Andersgeartete jedoch
moralisch ausschließen. Die griechische Antike wurde zum allein-
gültigen Muster, zur alleinseligmachenden Kunst erhoben. Es kam
der Begriff einer absoluten Schönheit auf, obwohl er ein Unding ist.
Dabei trat dieses seinem Wesen nach Reaktionäre mit der Heftig-
keit des Revolutionären auf. Alles, was in der Kunst Spiel ist,
wurde verbannt. Der abklingende Barock war verachtet, er galt als
leichtfertig, als sozial unanständig. Es bestätigte sich einmal mehr
das Wort W. H. Richls, daß in Revolutionszeiten des Geschmacks
ınd der Politik den Überlieferungen kein Pardon gegeben wird.
Die Romantiker des graezisierenden Klassizismus haben sich frei-
lich nebenher auch mit der alten deutschen Baukunst beschäftigt.
Beispiele dafür bieten gewisse Nebenarbeiten von Schinkel: die
Werderkirche, das Kreuzbergdenkmal, das Schloß Babelsberg und
die vielen theatralisch gesteigerten Idealskizzen von gotischen Do-
men. Ein anderes Beispiel ist die gotisierende Haube, die K.G.Lang-
haus im Jahre 1788 dem Turmstumpf der Berliner Marienkirche auf-
gesetzt hat. Ein noch früheres Beispiel ist das bereits unter Friedrich
dem Großen in Potsdam gebaute Nauener Tor (1755); und gerade-
zu drastisch wirkt die Löwenburg im Park von Wilhelmshöhe, die
einer literarischen Begeisterung für Walter Scott ihr Dasein ver-
dankt. Dieses alles aber sind nur Nebenprodukte der geschicht-
lich schweifenden Einbildungskraft. Im übrigen haben unter den
europäischen Nationen die Deutschen das griechische Idealpro-
gramm am eifrigsten erfüllt und systematisch eine Weltanschauung
daraus abgeleitet. Sie waren unmäßig im Ideellen:; Faust beschwor
Helena.
Die Bauherren des Klassizismus waren die Fürsten. Doch verwan-
delte sich den Königen ihre Bauherrnrolle nach der großen Franzö-
sischen Revolution unter den Händen. Sie waren nicht länger naiv
selbstherrlich, sie waren schon halb konstitutionell und empfanden
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