MEISTER DER DEUTSCHEN RENAISSANCE
A Romanik und Gotik sich berührten, war ein erster Höhe-
punkt deutscher Kunst erstiegen; ein zweiter wurde erreicht,
als die Gotik zögernd verschwand und Renaissancegesinnung her-
aufkam. Wenn, neben der Baukunst, auf jener ersten Höhe die monu-
mentale Skulptur stand, so war es nun die Malerei, die die größten
Meisterwerke hervorbrachte. Dafür trat die Baukunst jetzt so weit
zurück, daß sie erst an dritter Stelle genannt werden kann. Diese
Tatsache allein weist auf einen tiefgehenden Wandel der Zeit.
Im vierzehnten Jahrhundert, ja noch im Anfang des fünfzehnten,
hatten sich Skulptur und Malerei gehorsam auf die Baukunst bezo-
gen. Die dann kraftvoll auf‘ kommende neue Weltanschauung spreng-
te diese Einheit; das gotische Gesamtkunstwerk hörte auf zu sein,
die Kunst des Raumganzen fiel in einzelne Künste auseinander. Ein
Band war freilich noch vorhanden, ein alle Teile umschlingender
Stilwille; doch waren die Stilmerkmale mehr äußerlich, die tiefe or-
ganische Verbundenheit war zerstört. Es war so, weil die heroische
Jugendzeit der nordischen Völker vorbei war, in der alles aus einer
einzigen starken Lebensempfindung unteilbar hervorwuchs. Ein Zeit-
alter des Bewußtseins, des Denkens, der Reflektion kam herauf, das
mehr analysierend als naiv synthetisch verfuhr, und das seiner Ent-
stehung und seinem Willen nach auch so verfahren mußte. Die Ma-
lerei mußte jetzt die wichtigste Kunst werden, weil sie am unmittel-
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