Erster Abschnitt: Chronik des Centralverbandes. 179
in Deutschland stattgefunden hatte. Daß diese Versammlung in
einer Zeit, in der selbst die gemäßigten schutzzöllnerischen Be—
strebungen für abgethan und aussichtslos und für einen Anachro—
nismus erklärt wurden, sich für den Schutz der nationalen Arbeit
aussprach, gab ihr die außerordentliche Bedeutung, mit der sie
ungemein auf die öffentliche Meinung wirkte.
Die gesammte Presse beschäftigte sich lange und eingehend
mit dieser Kundgebung, und wenn die freihändlerischen Blätter,
wie es damals auch nicht anders zu erwarten war, auch nur
Angriffe und Schmähungen für die Leiter und die Theilnehmer
an jener Versammlung hatten, so lag hierin doch auch die An—
erkennung der Bedeutung, welche der Schutzzollpartei bereits bei—
gelegt wurde. Jetzt ging es nicht mehr an, sie todtzuschweigen.
Besonderen Anstoß erregte der Beschluß, sich bittend an
Se. Majestät den Kaiser zu wenden. Man übersah dabei, daß
dem Kaiser das verfassungsmäßige Recht zustand, Erhebungen über
Thatsachen anzuordnen, und man ließ ferner unbeachtet, daß die
Reichsregierung wie der Reichstag die nun an höchster Stelle
anzubringende Bitte abgewiesen hatten.
In der neuen Schutzzollpartei bestand kein Zweifel darüber,
daß sie durch die Frankfurter Versammlung einen mächtigen Schritt
vorwärts gethan hatte.
Inzwischen hatten sich die Verhandlungen über den Abschluß
eines neuen Handelsvertrages mit Oesterreich als ergebnißlos er—
wiesen. Die Ursache dieses Mißerfolges mußte das Direktorium
des Centralverbandes immer mehr von der Nothwendigkeit der
Aufstellung eines neuen autonomen Schutzzolltarifs überzeugen.
Es beauftragte deu Geschäftsführer Beutner und Dr. Grothe,
einen solchen Tarif vorzubereiten. Diese unterzogen sich der Auf—
gabe mit großem Fleiß, sodaß das Direktorium in den Stand
gesetzt wurde, den von den beiden Männern aufgestellten Entwurf
t eines autonomen Zolltarifs für das Deutsche Reich*) einer Aus—
n schuß- und Delegirtenversammlung vorzulegen, die in den Tagen
vom 13. bis 15. Dezember 1877 in Leipzig abgehalten wurde.
Von den erschienenen Vertretern der einzelnen Industrien
wurden Kommissionen gebildet, von denen die ihre Industrie be—
treffenden Theile des Tarifes in äußerst sorgfältiger und an—
Heft Nr. 6 der Verhandlungen ꝛc.
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