Full text: Erster Band (1. Band)

Erster Abschnitt: Chronik des Centralverbandes. 253 
Bald nachdem Fürst Bismarck von der Leitung der Reichs— 
geschäfte zurückgetreten war, bemühte sich die freisinnige und frei⸗ 
händlerische Presse, in der Oeffentlichkeit die Meinung hervorzurufen, 
daß jetzt ein, dem vom Fürsten Bismarck verfolgten entgegengesetzter 
Kurs eingeschlagen werden würde. Bezüglich der inneren all— 
gemeinen Politik nahm die deutsche freisinnige Partei die Regierung 
für sich in Anspruch; in Bezug auf die Wirthschaftspolitik wurde 
die Umkehr zum Freihandel als bevorstehend vorausgesagt. Diese 
Bestrebungen wurden durch die Aufnahme von Verhandlungen der 
deutschen Regierung mit Oesterreich bezüglich des Abschlusses eines 
deutsch⸗österreichisch-ungarischen Handelsvertrages außerordentlich 
begünstigt. Man konnte Wochen und Monate hindurch täglich in 
der Presse lesen, daß diese Verhandlungen dazu führen würden, 
dem Freihandel wieder die Bahn zu öffnen. Trotzdem diese 
Verhandlungen durchaus geheim geführt wurden und über deren 
Verlauf Bestimmtes nicht verlautete, so wurde doch kein Geheimniß 
daraus gemacht, daß die deutsche Reichsregierung bereit war, 
Oesterreich-Ungarn eine Ermäßigung der Getreidezölle als Kompen— 
sation anzubieten. Es war nicht zu verkennen, daß mit diesem 
Angebot den dringendsten Forderungen der Freihändler entgegen— 
gekommen wurde; aber es war auch zu verstehen, daß damit in 
den Kreisen sowohl der Landwirthschaft wie der Industrie eine 
ernste Beunruhigung hervorgerufen wurde, die dadurch noch eine 
Steigerung erfuhr, daß die Regierung sich fortgesetzt gegenüber 
jenen anmaßenden und aufdringlichen Preßstimmen in Schweigen hüllte. 
Der neue Reichskanzler Graf von Caprivi hatte den von 
ihm abhängigen Ressorts alle Beziehungen mit der Presse untersagt; 
nur der Reichsanzeiger sollte zu Kundgebungen der Regierung 
benutzt werden. Die Ressorts hatten daher die Beziehungen mit 
der Presse abbrechen müssen, durch die es ihnen so lange möglich 
gewesen war, ihre Ansichten in unverbindlicher Weise vertreten oder 
sich gegen Angriffe vertheidigen zu lassen. 
Die große Mißstimmung in der Landwirthschaft veranlaßte 
das Direktorium des Centralverbandes, in seiner Sitzung vom 
6. Februar 1891 die Veröffentlichung einer Erklärung zu beschließen, 
in der ausgesprochen wurde, daß die Industrie auf Herabsetzung 
der Getreidezölle keinen Werth lege. Die Erklärung lautete: 
„Das Direktorium des Centralverbandes Deutscher Industrieller 
ist zwar über die speziellen Ziele, welche bei den Verhandlungen
	        
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