2. Abschnitt: Arbeit des Centralverbandes. A. Handels- u. Zollpolitik. 401
das Land allen Fremden zu öffnen, während das Ausland sich
immer mehr absperre, sei nicht Freihandel, sondern eine Karrikatur
des Freihandels. Die jetzigen handelspolitischen Strömungen
basirten dagegen nicht mehr auf Theorien und Systemen, sondern
hielten sich einfach an die konkreten Verhältnisse und Bedürfnisse.
Bismarck hielt am zweiten Tage der erregten Verhandlung
eine höchst eindringliche Rede. Nach einem kurzen Hinweis auf
die schwierige Lage zu Oesterreich und das dortige geringe Ent—
gegenkommen betonte er, daß der Vertrag mit Frankreich vom
Jahre 1862, der Ausgangspunkt der freihändlerischen Politik des
Zollvereins, vor seinem Amtseintritt abgeschlossen gewesen sei und
daß nach der früheren Lage der Geschäfte der auswärtige Minister
überhaupt sehr wenig Einfluß auf solche Vertragsschlüsse gehabt
habe. Ihn hätten in den ersten Jahren überhaupt nur politische
Gesichtspunkte in diesen Fragen geleitet. Die Beurtheilung der
wirthschaftlichen Frage habe er den bedeutendsten Sachverständigen,
die zu haben waren, überlassen und sich ihnen untergeordnet.
Nachdem Delbrück ausgeschieden gewesen sei, sei er dagegen genöthigt
gewesen, sich eine eigene Ansicht zu bilden und diesen Sachen selbst
näher zu treten. Da sei er zu anderen Ansichten gelangt.
Diese umfangreichen und heftigen Debatten hatten den bei
allen großen Fragen, die in den Parlamenten zur Verhandlung
gelangen, gleichen Verlauf. Jede Partei blieb bei ihrer Meinung,
und kein Redner überzeugte den anderen. Die Regierungsorgane
vermieden es, sich weiter in den Streit einzumischen, da die Tarif⸗
reform im voraus einer Mehrheit im Reichstage sicher war. Die
Stimmung der Bevölkerung neigte in immer weiteren Kreisen zu
den Plänen des Kanzlers, und nur vereinzelte Interessentengruppen
erhoben gegen sie Einspruch.
Die Zolltarifkommission hatte, dank der unermüdlichen
Energie ihrer Vorsitzenden von Varnbüler und von Tiede—
mann, mit solchem Nachdruck und solchem Erfolge gearbeitet,
daß sie in 9 Wochen ihre große Aufgabe zu Ende führen konnte.
Am 9. März unterbreitete sie dem Bundesrath den Gesetz—
entwurf betreffend den Zolltarif des deutschen Zollgebietes.
Der Bundesrath berieth am 3. April unter dem Vorsitz des
Fürsten Bismarck selbst die Vorlage. Dieser erwirkte die unver—
änderte Annahme des Tarifs, und bereits am nächsten Tage wurde
die Vorlage den in die Osterferien gegangenen Abgeordneten nach—
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