Full text: Erster Band (1. Band)

404 5. A Bueck. Centralverband Deutscher Industrieller. 
Die Verhandlungen über den Entwurf des Zolltarifgesetzes 
begannen im Deutschen Reichstage am 2. Mai 1879*); sie waren 
ungemein umfangreich. Am 8. Mai wurden die wichtigsten Theile 
der Vorlage einer Kommission überwiesen, die anderen Artikel des 
Tarifes wurden vom 15. Mai ab direkt im Plenum durchgearbeitet. 
In Anbetracht der Dringlichkeit erstattete die Kommission, ab— 
weichend von dem hergebrachten Verfahren, ihren Bericht nicht 
als Ganzes nach Durcharbeitung der gesammten Materie, sondern 
je nach dem Zeitpunkt der Erledigung der einzelnen Artikel. 
Die Debatte im Reichstag war sehr lebhaft und gestaltete 
sich zuweilen recht stürmisch. Die Freihändler brachten nochmals 
bis ins Einzelne an der Hand der Entwicklung der deutschen 
Handelspolitik ihre Argumente vor, und hielten wie gewöhnlich 
die Reden mehr zum Fenster hinaus als für die Mitglieder 
des Reichstags selbst. Sie thaten dies, um ihre Haltung zu 
rechtfertigen und den Kampf für die Zukunft vorzubereiten. Sehr 
heftig wurden die Eisen— und namentlich die landwirthschaftlichen 
Zölle bestritten, neues wurde aber während der ganzen Verhand— 
lungen nicht vorgebracht. Interessant war u. a. der Nachweis, 
welchen der Abgeordnete Berger, der auf dem Gebiet der Eisen— 
industrie in hohem Maße sachverständig war, dahin führte, mit 
welcher Leichtfertigkeit Behauptungen im Reichstage vorgebracht 
würden. 
Der Abgeordnete Professor von Treitschke, damals ein 
radikaler Freihändler, hatte kurzweg erklärt, der Eisenindustrie sei 
nicht zu helfen, denn sie leide an einer schweren Ueberproduktion. 
So habe sie 259 Converter für die Bereitung von Bessemer-Stahl 
aufgebaut, die mehr als den doppelten Bedarf der Erde decken 
könnten. Berger wies nach, daß es in Wahrheit nur 63 solcher 
Converter damals in Deutschland gab. 
Sehr erregt wurden die Debatten, als die Reichsregierung 
am 15. Mai einen Gesetzentwurf einbrachte, der den Reichskanzler 
ermächtigen sollte, im Falle des Vorschlages von Zollerhöhungen 
im Reichstag mit Zustimmung des letzteren und des Bundesrathes 
sie sofort in Kraft treten zu lassen. Für den Fall, daß die Zoll— 
erhöhungen nicht beschlossen werden sollten, war die Rückerstattung 
des zu viel gezahlten Zollbetrages vorgesehen. Durch diese Maß— 
*) Stenogr. Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, 
4. Legisl.-Per. II. Sess. 1879, Il vBand S 9171
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.