2. Abschnitt: Arbeit des Centralverbandes. A. Handels- u. Zollpolitik. 457
gelegt worden sei. Besonders der Handelsminister gab an, daß ein
reiches Material bereits 1887 durch den deutschen Handelstag von
den Handelskammern eingefordert und von da ab sorgfältig und
aktenmäßig durch die Einholung weiterer Berichte fortgeschrieben
worden sei. Derartigen schriftlichen Gutachten kann ein gewisser
Werth nicht abgesprochen werden; die Arbeiten bezüglich des Ab—
schlusses und der Vorbereitung späterer Handelsverträge haben
jedoch genügend erwiesen, daß sie keineswegs ausreichten.
Mit Führung der Verhandlungen mit Oesterreich waren
zwei höhere Beamte betraut gewesen, beide seit langen Jahren in
den Handelsangelegenheiten des Reiches und Preußens thätig.
Der eine dieser Unterhändler hatte während seiner amtlichen
Thätigkeit keine Zweifel darüber gelassen, daß er ein Anhänger der
weit vorgeschrittenen Freihandelsschule war. Besonders scharf war
diese Stellung hervorgetreten bei der Wirksamkeit dieses Beamten
in der Enquete-Kommission, die im Jahre 1878 vom Bundesrath
mit der Ermittelung der Verhältnisse der Eisenindustrie beauftragt
worden war. Es lag damals kein Anzeichen vor für die An—
nahme, daß der betreffende Beamte inzwischen seine Ansicht ge⸗
ändert habe. Wenn auch nicht bezweifelt werden konnte, daß der
Betreffende bemüht gewesen war, die ihm ertheilten Instruktionen
pflichtgemäß auszuführen, so wäre es doch wohl angezeigt ge—
wesen, daß die Regierung mit den Verhandlungen nicht einen
ausgesprochenen Freihändler betraut hätte, der, nach den von ihm
hochgehaltenen Prinzipien, jede Herabsetzung der deutschen Zölle
als eine dem Vaterlande erwiesene Wohlthat erachten mußte.
In jedem Falle würde es richtiger gewesen sein, wenn mit den
Verhandlungen ein Beamter betraut worden wäre, dessen innere
Ueberzeugung sich in Uebereinstimmung mit dem ihm von der Re—
gierung ertheilten Auftrage befunden hätte.
Der andere Unterhändler war in hervorragendem Maße
auf den verschiedenen industriellen Gebieten bewandert, über deren
Technik er einen seltenen Schatz umfassender Kenntnisse besaß.
Aber es ist nicht möglich, daß ein Mann die Verhältnisse
der gesammten deutschen Industrie, deren Erzeugnisse, die Be⸗
dingungen ihrer Herstellung, die Bedeutung, die ihnen im inter—
nationalen Verkehr beizulegen ist, so zu beurtheilen vermag, daß
er in allen Fällen als vollgiltiger Vertreter der berechtigten
Interessen zu erachten wäre. Daß in dem vorliegenden Fall Lücken