Full text: Erster Band (1. Band)

2. Wschnitt: Arbeit des Centralverbandes. A. Handels- u. Zollpolitik. 485 
einander gegangen seien, sich schroff gegenüber stehen würden, wenn 
der russische Handelsvertrag als Wahlparole gelten würde. Die 
Nationalliberalen würden die Konservativen bekämpfen, und schließ— 
lich würde die Sozialdemokratie und der Fortschritt erfolgreich 
sein. Er sei überzeugt, daß unter diesen Umständen aus den 
Wahlen ein Reichstag hervorgehen würde, der zweifellos den 
Handelsvertrag mit Rußland annehmen, aber in allen anderen 
Fragen abgeneigt sein würde, die nationalen und industriellen 
Interessen zu vertreten. Eine weitere Folge aber würde die Um— 
wandlung der jetzigen schutzzöllnerischen in eine freihändlerische 
Mehrheit sein, und dem Drängen derselben in freihändlerischer Richtung 
werde die Regierung kaum lange widerstehen können. Diesem Drängen 
würden dann zunächst die immerhin noch 35 Mark betragenden 
landwirthschaftlichen Zölle zum Opfer fallen. Dieses Moment 
sollten sich die Gegner des Handelsvertrages im Reichstage vor 
Augen halten. Sie sollten sich überzeugen, daß sie durch Ablehnung 
des Handelsvertrages auf die Dauer nicht nur nichts erreichen, 
sondern Gefahr laufen würden, den 324 Mark-Zoll auch noch zu 
verlieren. Denn die Zölle seien nur gebunden gegen eine Er— 
höhung, nicht aber gegen eine Ermäßigung. Der Redner schloß 
mit der Bemerkung, er habe diese Ausführungen gemacht, damit 
die Stellung, welche ein der Landwirthschaft sehr befreundeter Ab— 
geordneter einnehme, auch hier im Kreise der Industrie speziell zum 
Ausdruck gelange. 
Kommerzienrath Dietel legte eingehend dar, was die von 
ihm vertretene Kammgarnindustrie und die Wollenindustrie im all— 
gemeinen gethan habe, um bessere Berücksichtigung im Handels— 
vertrage mit Rußland zu erzielen. Er schilderte die Verhältnisse 
seiner nur außerordentlich gering geschützten Industrie, die in— 
folge dessen dem starken Wettbewerb aller übrigen Industriestaaten 
auf dem inländischen Markte ausgesetzt sei. Es sei nicht seine Ab— 
sicht, gegen den Vertrag überhaupt zu sprechen, sondern er begrüße 
ihn mit Freuden. Gerade seine Industrie, von der er gesagt habe, 
sie könnte von den Freihändlern als Musterbild für ihre Grund— 
sätze aufgestellt werden, werde sich natürlich auch für die Folge 
alle Mühe geben müssen, ihre Existenz zu erhalten und für dieselbe 
zu kämpfen und die Fahne der deutschen Arbeit hochzuhalten. Die 
Annahme des Vertrages sei aber eine Nothwendigkeit, obschon er 
seiner Industrie nicht das gebracht habe, was sie erwartet habe. Sie
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.