2. Abschnitt: Arbeit des Centralverbandes. A. Handels- ü. Zollpolitik. 573
die im ganzen vortreffliche und segensreiche Handelsvertragspolitik
des Grafen Caprivi bei der gesammten Landwirthschaft in Miß—
kredit gebracht und dahin geführt habe, daß die Landwirthschaft sich
der Handelsvertragspolitik feindlich gegenüber stelle Daher müsse
sie als die Ursache der Kämpfe angesehen werden, die seit einer Reihe
von Jahren um den Abschluß künftiger Handelsverträge geführt
worden seien und voraussichtlich noch weiter geführt werden müßten.
Diese Maßregel sei ferner so unheilvoll gewesen, weil sie mit einer
agrarischen Krisis zusammengefallen sei, deren Anfang schon 10 bis
15 Jahre zurückgereicht habe, und die daher als chronisch bezeichnet
werden könne. Sie habe noch dazu ihren Höhepunkt gerade
zur Zeit des Abschlusses des Handelsvertrags mit Rußland
erreicht. Der Referent gab dann eine Schilderung der land—
wirthschaftlichen Krisen seit dem 17. Jahrhundert, die er in der
Hauptsache als akute, schnell vorübergehende Krisen bezeichnete, die
mehr auf lokalen Verhältnissen beruhten. Nach Ueberwindung der
Krisen in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts und ihrer
Folgen habe sich die Landwirthschaft bis in die 70Oer Jahre einer
steigenden Konjunktur zu erfreuen gehabt, dann aber sei der Rück—
schlag eingetreten. Es habe eine Krisis um sich gegriffen, von der die
Landwirthschaft in allen Kulturstaaten erfaßt worden sei und die gegen
Ende des vorigen Jahrhunderts in Deutschland ihren Höhepunkt er—
reicht und sich dann durch nebensächliche Umstände etwas abgeschwächt
habe, deren Ende aber nicht abzusehen sei. Der Referent bezeichnete,
im Gegensatz zu den früheren, diese Krisis als chronisch, als grund—
legende Ursache dafür aber die vollständige Umgestaltung der Preis—
bildung für Brotgetreide. Diese Preisbildung habe sich früher nach
Maßgabe der lokalen, höchstens der nationalen Produktions—
und Verbrauchsverhältnisse, vollzogen. Bei den durchaus unent—
wickelten Verkehrsverhältnissen habe jede reiche Ernte niedrige
Preise, jeder Mißwachs hohe Preise zur Folge gehabt. Hierin habe
ein gewisser Ausgleich für die Landwirthschaft gelegen, die sich im
ganzen dabei nicht schlecht gestanden habe. Ganz andere Verhältnisse
seien seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts eingetreten.
Die lokalen Verhältnisse hätten ihren Einfluß auf die Preisbildung
fast gänzlich verloren, seit durch die gewaltige Entwickelung
und Ausdehnung der Verkehrsmittel die Getreidetransporte und
damit der Ausgleich von den entferntesten Gegenden her möglich
geworden sei. Dadurch sei der Getreidemarkt Weltmarkt geworden.