24 Der Centralverband 1876 — 1901.
Klagen. Ihrer nahm sich die nassauische Regierung zuerst an, indem
sie eine Erhöhung des Eisenzolls beantragte.
In ähnlich schwieriger Lage befanden sich die Baumwollen—
spinnereien, deren vor der Errichtung des Zollvereins in Deutsch⸗
land nur wenige und unbedeutende bestanden hatten. Auf diese
wichtige Industrie hatten sich in England, theilweise auch in
Frankreich, die größten industriellen Kräfte geworfen. Sie wurde
von der Gesetzgebung dieser Länder sehr weitgehend geschützt und
gefördert und hatte ganz besonders in England eine solche
Ausdehnung erlangt, daß sie als die Grundlage der industriellen
Größe dieses Landes angesehen werden konnte. So lange in
Deutschland die traurigen Verkehrsverhältnisse herrschten und
vielen Regierungen jeder Begriff von der Bedeutung einer
industriellen Thätigkeit fehlte, konnte diese Industrie sich unmöglich
entwickeln. Sie erforderte große Kapitalien, kostspielige und kom—
plizirte Maschinen, ausgebildete technische Kräfte und ein großes
gesichertes Absatzgebiet; alles das war in Deutschland nicht vor—
handen. So ist es zu erklären, daß, als sich nach Errichtung des
Zollvereins die Verhältnisse günstiger gestalteten, die industrielle
Thätigkeit sich zunächst denjenigen Industriezweigen zuwendete, in
denen ähnliche Schwierigkeiten nicht zu überwinden und bereits
mehr versprechende Anfänge vorhanden waren. Bei der Verarbeitung
der Baumwolle war dies die Weberei; sie hob sich außerordentlich
schnell, und damit stieg die Einfuhr englischer Garne. Dagegen
entwickelte sich die Spinnerei nur äußerst langsam, und es dauerte
lange, bis sie sich am Rhein, in Sachsen, in Baden, Württemberg
und Bayern zu einiger Bedeutung emporgeschwungen hatte.
Der Schutzzoll von 2 Thalern für den Zentner Garn wurde reich—
lich durch die günstigeren Produktionsbedingungen Englands aus—
geglichen, und es kounte daher der Einfuhr englischer Garne kein Ab—
bruch geschehen, welche bis zum Jahre 1842 die heimische Erzeugung
um das Doppelte überstieg. Dagegen hatte sich die Weberei,
die unter dem Schutze eines Zolles von 30 bis 50 Thalern für den
Zentner arbeitete, derart enlwickelt, daß die Ausfuhr von zoll—
vereinsländischen Baumwollenwaaren den Werth von 14 bis 15
Millionen Thalern erreichte. Zu derselben Zeit war die Existenz
der meisten Spinnereien höchst schwankend und unsicher. Von dem
Solidaritätsbewußtsein, das bei der großen Zollbewegung der
letzten siebziger Jahre sich in befriedigender und erfolgreicher Weise