2. Abschnitt: Arbeit des Centralverbandes. B. Sozialpolitik. 383
der Kampfesweise seiner Partei entsprechend, die ganze Arbeiter—
versicherungsgesetzgebung und ganz besonders den vorliegenden
Gesetzentwurf nur als eine andere Art der Armenpflege bezeichnet.
Dieser Auffassung war gleich, nachdem der Sozialdemokrat seine
Rede beendet hatte, der Bevollmächtigte zum Bundesrath für das
Großherzogtum Baden, Freiherr von Marschall, entschieden und
ungemein wirkungsvoll entgegengetreten.“)
Der Centrumsführer trat den Ausführungen des Letzteren
ausdrücklich bei. Nach seiner Auffassung handle es sich durchaus nicht
um ein „Stück Armenpflege“, sondern um eine neue organische Maß—
nahme und gerade zu dem Zweck, den Herr Grillenberger aus—
schloß: „den Antheil der Arbeiter an der Nationalproduktion zu
erhöhen.“ Bei der Armenpflege handle es sich um Almosen, um
freie Unterstützungen, „bei diesem Gesetze um Rechte, die auf Grund
selbstgezahlter Beiträge erworben sind und auf Rechtsgrundsätzen
beruhen.“
Der Gesammtpolitik des Centrums entsprach es, wie bei der
Unfallversicherung, so auch in dem vorliegenden Falle, entschieden
Stellung gegen eine Reichsversicherungsanstalt zu nehmen. Es
verwarf auch die in dem Entwurf vorgeschlagene Organisation.
In merkwürdigem Gegensatz zu der fast allgemeinen Ansicht,
erachtete der Redner des Centrums die Schaffung möglichst
großer Verbände, thunlichst breiter Schultern als Grundlage der
Versicherung, nicht für erforderlich. Er war der entgegengesetzten
Ansicht, daß es Aufgabe sei, zu „individualisiren, Krankenverbände
zu schaffen und sie verantwortlich zu machen und anzuhalten gut
zu wirthschaften.“
Hitze, sowie der spätere Redner des Centrums, der Ab—
geordnete Spahn, traten daher entschieden und mit Hervorhebung
aller irgend denkbaren Gründe für die Ueberweisung dieser Ver—
sicherung an die Berufsgenossenschaften ein. Besonders sei dabei
eine andere Abstufung der Renten zugunsten der besser gelohnten
Arbeiter, ferner eine Halbinvalidität und vorübergehende Invalidität
zu berücksichtigen. Bezüglich des Verfahrens verlangte das Centrum,
daß die Feststellungsorgane an einer billigen Verwaltung interessirt
werden sollten und sich vom Wohlwollen gegen die Arbeiter leiten
lassen müßten. Der Redner glaubte den Widerstand des Centrums
) Stenogr. Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags,
VIL. Legisl.-Periode, 4. Session 1888/89, Band 1. S. 161 und 162.