596 H. A. Bueck. Centralverband Deutscher Industrieller.
von Posadowsky, bereits in der Sitzung des Reichstags vom
13. Dezember 1897 zu erkennen gegeben. In der Sitzung stand die
Fortsetzung der ersten Berathung des Reichshaushaltsetats für das
Jahr 1898 auf der Tagesordnung. Die Rede des Staatssekretärs
war hauptsächlich gegen den Abgeordneten Bebel gerichtet, der die
Regierung beschuldigt hatte, den Stillstand der sozialpolitischen
Gesetzgebung herbeigeführt zu haben. Graf von Posadowsky
widersprach entschieden unter Hinweis auf die in der Vorbereitung
befindlichen sozialpolitischen Maßnahmen auf dem Gebiete der
Gewerbegesetzgebung. Die betreffenden Ausführungen des Staats—
sekretärs sind hier bereits wörtlich angeführt worden.“) Der Staats—
sekretär warnte aber vor einem zu schnellen Vorgehen und vor
einem Zuviel der sozialpolitischen Gesetzgebung und sagte dabei:**)
„Ich meine überhaupt, wir sollten uns beschränken hier im Reichstage
nicht fortgesetzt neue sozialpolitische Gesetze zu planen, sondern zunächst
einmal die vorhandenen Gesetze weiter ausbauen und in ihrem
Wirkungskreis ausdehnen. Wenn wir auch nur die sozialpolitischen
Gesetze, die bestehen, weiter ausbauen wollen, so, kann ich Ihnen
versicheren, ist das schon eine Riesenarbeit. Ich will nur einmal
einen ganz kurzen Gesichtskreis andeuten: man hat meines Er—
achtens — und, meine Herren, ich kenne die Sache nicht nur aus
der Gesetzgebung selbst, sondern auch aus der Praxis, weil ich
acht Jahre lang und länger diese Gesetze organisirt und gehandhabt
habe —, man hat meines Erachtens bei dem Gesetze über die Alters—
und Invaliditätsversicherung den Fehler begangen, eine solch un—
geheure Organisation zu schaffen, ohne einen selbständigen lokalen
Unterbau, man hat vielmehr die ganzen lokalen Geschäfte den vor—
handenen staatlichen Behörden übertragen, und für diese war das
zu viel und eine höchst lästige Aufgabe. Ich würde es deshalb
für sehr wünschenswerth halten, namentlich die Gesetzgebung über die
Alters- und Invaliditätsgesetzgebung derart auszubauen, daß man
den großen Versicherungsanstalten eigene Lokalinstanzen gäbe, welche
sowohl mit den Arbeitgebern, wie mit den Arbeitnehmern im fort—
gesetzten Verkehr stehen und dadurch dazu beitragen würden, die
Schwierigkeiten der Ausführung des Gesetzes zu mildern und das
Gesetz mehr ins praktische Leben, als es bisher noch der Fall ist,
*) Seite 56b und 567.
**) Stenogr. Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags,
IX. Legisl.“Periode, 5. Session 1897/98, Band 1, S. 174.