654 H. A. Bueck. Centralverband Deutscher Industrieller.
bei einem großen Theil der rechten Seite zu unserem Bedauern
wenig Zustimmung gefunden haben — in vorsichtiger Weise vor—
gegangen wird. Es wird vollständig den Zentralbehörden der
einzelnen Bundesstaaten überlassen werden, an der Stelle, wo sie
es für nothwendig halten, Rentenstellen zu errichten, und da, wo
sie die Nothwendigkeit nicht anerkennen können, ihre Hand davon
zu lassen.“ Er fügte dem jedoch weiter hinzu: „Wir geben uns
aber trotzdem nach wie vor der Ueberzeugung hin, daß auch ohne
direkte Einwirkung seitens der Reichsverwaltung die Rentenstellen
da, wo sie in der Form, wie sie die Vorlage jetzt vorsieht, errichtet
werden, nützlich wirken werden, und es wird eine Frage der
Zukunft sein, ob demnächst etwa durch einen weiteren Ausbau der
Rentenstellen dasjenige später in noch höherem Umfange erreicht
werden kann, was die Verbündeten Regierungen erstrebt hatten, als
sie die Rentenstellen in der in dem Entwurf vorgesehenen um—
fassenderen Form planten.“*)
Molkenbuhr, der Redner der Sozialdemokraten, ging von
der Ansicht aus, daß die Verbündeten Regierungen sich wegen der
unbefriedigenden Lage einzelner Versicherungsanstalten bei Ein—
bringung des Gesetzes in einer Nothlage befunden hätten. Er machte
dem Reichstag zum Vorwurf, daß er diese Nothlage nicht genügend
zur Erreichung weiterer und wirklich durchgreifender Verbesserungen
des Gesetzes ausgenutzt habe. Die Bestimmungen des Entwurfes
bezeichnete er theilweise als Verschlechterungen, im übrigen als
durchaus ungenügend. Insbesondere verlangte er Erweiterung des
Rechtsanspruches der Arbeiter auf Invalidenrente und einen größeren
Einfluß der Arbeiter auf die Verwaltung.
Den in der zweiten Berathung vom Reichstag abgelehnten
Antrag der Kommission, den Versicherungsanstalten das Recht des
Erlasses und der Ueberwachung von Schutzmaßregeln zu geben,
hatten die Sozialdemokraten zur dritten Berathung wieder eingebracht.
Er wurde von Molkenbuhr breit und eingehend vertreten. Schließ—
lich machte Molkenbuhr die überraschende Mittheilung, daß, da
das Gesetz doch einzelne Verbesserungen enthalte, denen keine neuen
Belastungen gegenüber ständen, die Sozialdemokraten nicht gegen
das Gesetz stimmen würden. Bis dahin hatten die Sozialdemokraten
alle Arbeiterversicherungsgesetze abgelehnt.
*) Stenogr. Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags,
X. Legisl.-Periode, 1. Session 1898/1900, Band 3, S. 2510.