2. Abschnitt: Arbeit des Centralverbandes. B. Sozialpolitik. 539
Die Unklarheit der in Deutschland bestehenden Bewegung für
eine immer weiter zu treibende Arbeitergesetzgebung glaubte der
Berichterstatter an einem Beispiel feststellen zu können. Diese Un—
klarheit sei bereits in dem Gewerbegerichtsgesetze von 1890 zu
finden, sie habe in der Novelle keine Abänderung erfahren.
Der Berichterstatter verwies auf die in der ganzen Welt
bestehenden verschiedenen Vorgänge bei Schlichtung von Streitig—
keiten zwischen Unternehmern und Arbeitern, auf das Schieds—
verfahren und das Einigungsverfahren. Das erstere finde
gemeinhin Anwendung, wo es sich um die strittige Auslegung
eines ehedem geschlossenen Vertrages handle. Es bestehe
darin, daß eine gleiche Anzahl Vertreter der beiden streitenden
Parteien unter einem unparteiischen Schiedsmann zusammentreten,
ihre Anschauungen in Rede und Gegenrede vortragen und daß
zuletzt die Sache durch Abstimmung entschieden werde. Dabei sei
die Stimme des Schiedsmannes immer die ausschlaggebende; denn
die Parteien erklärten sich als vor ihm gegen einander streitende
Gegner und ihn, den Schiedsmann, selbst als den Richter.
Das Einigungswesen finde dagegen gemeinhin Anwendung,
wenn die Frage einer Neuordnung der Arbeitsbedingungen, eine
Neufestsetzung der Lohnbezüge und ähnliche Fragen zu lösen seien.
Es bestehe darin, daß Vertreter der streitenden Parteien in gleicher
Anzahl ohne einen unparteiischen Vorsitzenden zusammen kommen
und, nach Art von Kaufleuten, über die betreffenden Punkte solange
verhandeln, bis schließlich eine Einigung erzielt sei oder vom Ab—
schluß eines neuen Vertrages überhaupt abgesehen werde.
Versuche, das Schiedswesen auch auf diese Gebiete an—
zuwenden, seien in England, in den Vereinigten Staaten und in
Neu-⸗Seeland unternommen worden. In den beiden erstgenannten
Staaten sei man sehr bald von ihnen zurückgekommen. In Neu—
Seeland habe man sie, unter schwerer Schädigung der dortigen
Produktion, durchgeführt.
Die Anwendung des Schiedsverfahrens eigne sich bei der
Neuordnung der Arbeitsbedingungen nicht, weil jeder Schiedsrichter
bestrebt sei einen Kompromiß herbeizuführen, selbst in Fällen, in
denen das Recht auf der einen, das Unrecht auf der anderen Seite
klar vor Augen liege. In der Natur der Verhältnisse sei es be—
gründet, daß Kompromisse den Forderungen Derer immer näher
rücken, die ihre Interessen am lautesten und nachdrücklichsten ver—