4. a. Vom Kriege und KriegSrechte. dl
Grotius hat jeine völkerrechtliche Tätigkeit mit der Abhandlung
„Mare liberum“ begonnen, deren Zweck zunächst die Verteidigung
der niederländischen Handelsfreiheit im indischen Meere gegenüber den
Anmaßungen der Spanier und Portugiesen war. Zu der Zeit aber,
da Deutschland ein großes Schlachtfeld wurde, wandte er sich der
Bearbeitung seines Hauptwerks zu (1622-1625). Ursprünglich war
es feineSweges Grotes Absicht, ein System des Natur- und BVölker-
rechtes zu entwerfen; vielmehr wollte er angesichts der Bedrohung
uropas durch die türkische wie durch die eigene Barbarei und wegen
er trostlosen Praxis des Kriegsgebrauches eben nur Rechte und
flichten der Kriegführenden auseinandersezen. Doch schon die Unter
uchung der ersten Frage: wer Krieg zu führen berechtigt sei, nötigte ihn
auf das Gebiet des Statsrechtes, und indem er nach den Grundlagen
es States und des Rechtes forschte, gelangte er dahin, allmählich de
gesamten Kreis der Rechtslehre zu durchschreiten, und so wurde er
um Schöpfer der modernen Wissenschaft vom Natur- und Völkerrecht.
Da3 Werk De jure belli ac pacis hat drei Bücher. Das erste handelt vo
er Gerechtigkeit des Krieges überhaupt, von dessen Einteilung in den öffentlichen
nd den Privatkrieg, von der Souveränität, vom State und dessen verschiedenen
Formen, endlich von den Statspflichten der Untertanen. =- Das zweite Buch
erörtert die Veranlassungen zum Kriege, welche das Eigentum betreffen, und
knüpft daran die Lehre vom Eigentum wie die von den Verträgen, ihrem
rsprung und Erlöschen. =- Im dritten Buche wird untersucht, was im Kriege
erlaubt, wa38 verboten sei. Daran schließt sich die Lehre von der Beendi-
gung des Krieges und von Friedensschlüssen. -=- Überall werden Zeugnisse der
der Geschichtsschreiber, Dichter und Philosophen zu Rate gezogen und citiert.
Neue AuSgaben, u. a. von Cocceji (Breölau 1744-- 48) und von Pradier-
JFoder6 (St. Denis 1867), beste Verdeutschung von v. Kirchmann. (Berlin 1870.)
Des Grotius Methode ist die induktive. Al3 Recht und Stat erzeugende
Funktion erscheint ihm die gesellige Natur des Menschen, der appetitus s8ocialis,
der jedoch nicht nur aus physischer Wechselbedürftigkeit entspringe, sondern auch
aus dem Wohlwollen gegen andere. Diesem Geselligkeitötriebe des Lo» mwohuruo»
erwachse das jus naturae, worunter Grote keineSwegs einen utopischen Natur-
zustand versteht, wie der, aus welchem viele seiner Nachfolger alles Recht a priore
herleiten wollten; vielmehr hält er sich durchaus an die naturalis ratio, an die
au3 den realen Verhältnissen hervorgehende Betrachtung. Demgemäß weist er
sowohl diejenigen ab, welche da meinen, daß der Krieg überhaupt unerlaubt sei,
als diejenigen, welche wähnen, daß im Kriege alles erlaubt sei. =< IJ
völferrehtlicher Hinsicht erscheint besonders der Gedanke wichtig, daß
die Politik eines einzelnen States nimmermehr der naturrechtlichen Freiheit
und Sicherheit dex andern Völker hindernd in den Weg treten dürfe, daß viel-
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