Full text: Musikgeschichte, Kulturquerschnitte, Formenlehre, Tonwerkzeuge und Partitur (1. Band)

186 Die jüngste, expressionistische Kunst. 
den „Visionen“ und der Legende „Assissi“ für großes Orchester. 
— Bedeutend extremer ist E. Krenek (geb. 1900). Auch der Gegner 
seiner atonischen Musik wird die große kontrapunktische Kunst und die 
Zielsicherheit seines Strebens anerkennen müssen, wie sie sich in seinen 
Klavierwerken, vor allem dem „Concerto grosso“ für 
Streichorchester, Violine, Bratsche, Violoncello, Klarinette und Fagott, 
kundtut. 
Ihm verwandt ist der talentvolle Heinr. Kaminski (geb. 1886 in 
Tiengen bei Waldshut). Auch er ist ein Meister der Polyphonie, eine 
Begabung, die ihn stark auf das religiöse Gebiet der Chormusik weist. 
Neben der groß angelegten Motette für achtstimmigen Chor und 
Orchester, dem „69. Psalm für Soli, Chor und Orchester“, dem 
„130 Plalme u a ist sein Concerto grosso fur Doppel⸗ 
orchester und Klavier besonders zu erwähnen. 
Von erfreulicher Frische und Kühnheit sind die Werke E. Tochs 
(Geb. 1887), seine aus dem Klange heraus geschriebenen Klavierstücke, 
Streichquartette, ? Kammersymphonien, eine Symphonie „An mein 
Vaterland“, die Oper „Wegwende“. 
Auf dem Gebiete des Oratoriums hat bisher wohl nur Grabner 
in seinem tief empfundenen „Weihnachtsmysterium“ den 
neuen Stil angewandt, und zwar, wie mich dünkt, mit Glück. 
Eine Erscheinung für sich bildet der berühmte Pianist Feruccio 
Busoni (geb. 1866 in Empoli) in seinem bewundernswerten Ringen 
um seine Ideen, die er in seinen Werken, wie „Durandotouver— 
türen den „Orchesterstücken“ der Oper Die Vrautwahl— 
u. a. erstrebt. Zwar Italiener von Geburt, ist ihm Deutschland doch 
zur Heimat geworden. Er starb 1925 in Berlin. Neben ihm tritt 
neuerdings der Italiener O. Respighi (geb. 1899 in Bologna) hervor 
mit Werken für Orchester, 2 Opern, Kammermusik und 
einem Violinkonzert (Concerto gregoriano) u. a. 
Aber auch in andern Ländern hat die neue Kunst Boden gefaßt. 
Der Russe Scrjabin gehört mit zu ihren Begründern in Werken wie 
seinem Poémede l'Exstase. Ihren Höhepunkt aber findet sie in 
J. F. Strawinsky (geb. 1882), dessen Einfluß und Bedeutung sich ge— 
rade in jüngster Zeit besonders in Deutschland geltend macht. Als 
Schüler Rimski-Korsakows schließt er sich in seinen früheren Werken 
an diesen Meister sprühender Orchesterfarben an. Bald aber sucht und 
findet er seinen eigenen Weg und wird hier zu einer der ausgeprägte⸗
	        
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