Full text: Musikgeschichte, Kulturquerschnitte, Formenlehre, Tonwerkzeuge und Partitur (1. Band)

39 Die weltliche, einstimmige Musik. 
den Kunstgattung wird. Den Troubadourgesängen gegenüber ist das 
deutsche Minnelied schwerfälliger und einförmiger. Sein Quell ist ganz 
die gregorianische Kunst, von der leichten Art der Troubadours ist 
es völlig unabhängig. Sein Wesen liegt für uns entschieden mehr auf 
der dichterischen, als der musikalischen Seite. Der Troubadour ist 
mehr Liedersänger, der Minnesänger Rhapsode. Ersterer wird von 
einem Fiedler, dem Menestrel begleitet, der Minnesänger führt die 
Begleitung, die sich in ihrer Einstimmigkeit wohl hauptsächlich auf 
Vor⸗-, Zwischen- und Nachspiele beschränkte, selbst aus. 
Unter den Minnesängern ragt über alle andern hoch empor 
Walther von der Vogelweide ( 1230), überhaupt der größte Lyriker 
der ganzen mittelalterlichen, deutschen Poesie. Mit echter Leiden— 
schaft, voller Herzensempfindung und ohne alle falsche Sentimenta— 
tität malt er nicht nur das schöne Äußere, sondern die Seele seiner 
geliebten Frau, die ihn an Leib und Seele bezwang. Neben ihm ver— 
schwinden die andern, ein Reinmar der Alle, der Kürenberger oder 
Spervogel. Nur einer vermag auch heute noch unser Herz zu er— 
freuen, Neidhart von Reuenthal (zwischen 1180 1250), dank des echt 
volkstümlichen Zuges, der seine Lieder erfrischend durchweht, fern 
aller Geschraubtheit und gemachter Empfindung der meisten höfischen 
Sänger. 
Mit dem Aufblühen des Bürger- und Städtewesens um 1400 
verschwindet der Minnegesang, verdrängt von dem Meister— 
gesang. Sein Ausgangspunkt war Mainz (Frauenlob), seine 
Glanzzeit erlebt er in Nürnberg mit Hans Sachs. Singeschulen be— 
standen im 15. und 16. Jahrh. in Straßburg, Augsburg, Nürnberg, 
Regensburg, Ulm, München, Mainz und vielen andern Städten. 
Durch eine unendliche Menge starrer Regeln schnürten sie dem Liede 
gleichsam den Hals zu, daß es förmlich erstickte. Trockenheit und 
Künstelei sind die Kennzeichen dieser Kunst, die für die spätere Ent— 
wicklung ohne jeden Einfluß geblieben ist. Schon die Namen der 
Töne — der rote Ton, der Blulton, die geschwänzte Affenweis, abge— 
schiedene Vielfraßweis — lassen auf den Tiefstand dieser Kunst 
schließen. 
Literatur: F. Die z, Die Poesie der Troubadours (1883) und Leben und 
Werke der Troubadours (1829). J. B. Beck, Die Melodien der Troubadours 
1908) ar. 9 von der Nagen Die Minnesänger 5. Bd. (18533 1856). 
Denkmäler: Paul Runge, Die Sangesweisen der Colmarer Handschrift und 
die Liederhandschr. Donaueschingen (1896). G. Holz, Fr. Saran u. Ed.
	        
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