32 Die Anfänge der Mehrstimmigkeit.
Bernoulli, Die Jenager Liederhandschrift, 2. Bd. (1906). Beispiele von
Troubadour- und Minneliedern in den meisten Musikgeschichten (Ambros
Bd. 2). Eine Reihe auserwählter hat F. M. Böhme (er Verfasser des „Alt—
deutschen Liederbuchs“) frei bearbeitet und mit Klavierbegleitung versehen unter
dem Titel: Originalgesänge von Troubadours und Minnesängern des
12. —14. Jahrhunderts von F. M. Böhme (Schott, Mainz).
Die Anfänge der Mehrstimmigkeit.
Die Anfänge der Mehrstimmigkeit liegen in Dunkel gehüllt.
Der Weg weist nach England, verliert sich aber dann. Schon im
9. Jahrh. spricht der englische Philosoph Scotus Erigena von einem
„Organum“ benannten Gesang aus Stimmen verschiedener Gattung
und Höhe. Die ersten deutlichen Erklärungen aber über die ars
organandi gibt Hucbald, ein Mönch von St. Amand (840—
923). Schon er unterscheidet mehrere Arten des Organums. Die älteste
ist wohl die, wo die Hauptstimme, die vox principalis von einer
zweiten Stimme in Quarten begleitet wird, daneben aber auch die
Terz und Sekunde in der Gegenbewegung, dem occursus angewendet
wird, um durch sie den Einklang zu erreichen, oder aus ihm heraus zu
wachsen:
Tu Pac-tris sem-pi-ter-nus es Fi-li— us
Jünger ist die zweite Art, in der die Stimmen in Quinten bzw.
Quarten fortschreiten von Anfang bis zum Schluß. Durch Verdoppe—
lung wird aus dem zweistimmigen ein vierstimmiger Satz:
— —— 7 — — — — ⏑ ——
Qã 2 *
Tu Pa-tris sempiternus es hi-li- us
Die dritte Art, das „schwebende“ Organum läßt zu der
gegebenen Stimme nach der Art des Dudelsacks die tiefe Stimme
einen Ton fortwährend weiter klingen; eine Zweistimmigkeit, die
auch der antiken Musik nicht fremd war.
Eine Weiterbildung dieser Formen stellt der Diskantus dar,
der als Wesentliches das Prinzip der Gegenbewegung hinzufügt.