Die Ars nova.
Die „Ars nova“ des 14. und 15. Jahrhunderts.
Um 1300 entsteht in Ober- und Mittelitalien eine neue
Kunst von überraschend hoher Bedeutung. Eine neue Liedkunst,
entstanden aus der freien, improvisierten Begleitung der provenza—
lischen Troubadours, wie Riemann sicher mit Recht vermutet. Es sind
einstimmige Gesänge, bei denen die übrigen Stimmen von In⸗—
strumenten vorgetragen werden. Die gesungene Melodie in der
Oberstimme ist frei erfunden, kein gegebener Gesang (cantus firmus),
wie früher. Daß in der Tat Instrumente mitwirkten, das zeigt die
Art der Führung dieser Stimmen deutlich. Aber auch die vielen
Engelorchester und Instrumente auf Bildern dieser Zeit bestätigen
die Vorliebe der Florentiner für Instrumentalmusik. — Die Werke
treten uns bereits in durchgebildeten, klaren Formen entgegen.
Eine der beliebtesten ist die Caccia (die Jagd). In ihr werden Natur⸗
und Jagdszenen geschildert, eine Vorahnung der späteren Programm—
musik. Rau möchte den Namen der späteren Fuga analog erklären
wegen ihrer kanonischen Setzart. Weitere Formen sind das in
den Pastourellen der Troubadours wurzelnde Madrigal für eine
oder (selten) für zwei Singstimmen mit einer oder zwei Instrumental—
stimmen als Begleitung und die ähnlich gestaltete Ballata, ur—
sprünglich ein Tanzlied, der höfischen Kunst Frankreichs ent—
stammend.
Als der eigentliche Begründer der neuen Kunst gilt der Floren—
s tiner Giovanni da Cascia (Johannes de Florentia) (um 1330), von
ig dem sich viele Kompositionen in den genannten Formen erhalten
haben. Neben ihm ist von Bedeutung Francesco Landino, zugleich
ein vielbewunderter Orgelspieler. In Frankreich steht Guillaume
Machault (zwischen 1300 u. 1372) mit seinen Ballaten und Chansons
an der Spitze der Bewegung. Sein Stil ist bereits flüssiger trotz
n der komplizierten Rhythmik der Stimmen. Die ganze Auffassung
ist noch eine horizontale; die Stimmen laufen frei nebenein—
ander her, ohne sich viel um den vertikalen Zusammenklang, die
Harmonie, zu kümmern. Madrigal und Caccia verschwinden um
1400 in Frankreich, an ihre Stelle tritt das Rondeau und die lied—
3) förmige, kanonisch geführte Rode.
Auch England steht in dem allgemeinen Wettbewerb nicht
zurück, es stellt in John Dunstaple (um 1370— 1453) einen der in—
39