Full text: Musikgeschichte, Kulturquerschnitte, Formenlehre, Tonwerkzeuge und Partitur (1. Band)

49 Die Musik in Italien. 
über Venedig schwebt und der der Kunst Giorgones und Tizians 
ihren unvergleichlichen Zauber verleiht, klingt auch aus den Werken 
Gabrielis. Wie er die Farben zu mischen versteht, das zeigt uns als 
Beispiel ein dreichöriges Magnificat ocetavi Doni. 
Der obere Chor besteht aus hohen Stimmen — 2 Soprane, Alt und 
Tenor —, der mittlere hat die gewöhnliche Zusammensetzung — 
Sopran, Alt, Tenor und Baß — der untere besteht aus nur 
Männerstimmen, Tenor und 3 Bässen, deren tiefster bis zum 
großen O heruntergeführt ist. Liegt schon in dieser Anlage eine reiche 
Abwechselung, so gewinnt die Farbe aber erst ihren höchsten Glanz 
in der Kunst der Mischung dieser drei Gruppen mit ihren immer 
neuen Möglichkeiten. Die Art, wie Gabrieli diese ausnutzt, wie er 
bald helle Lichter wie Himmelssterne aufleuchten läßt, diesen die 
Erde in den tiefen Stimmen antworten läßt, dann wieder den mitt— 
leren Chor wie Prinzipalstimmen der Orgel allein führt, um mit 
einem Male alle zu berauschendem Klange zu vereinen, das alles ist von 
unsagbarer Schönheit. Die Erhabenheit des Ganzen wird noch ge— 
steigert durch die imponierende Ruhe des Satzes, der sich meist wie 
in mächtigen Akkordsäulen aufbaut bei wunderbarer Führung der 
einzelnen Stimmen. Kleinliches Figurenwerk ist ganz ausgeschaltet, 
alles ins Große gezogen, durchweht von dem Pathos, wie es auch die 
Gestalten auf dem Golde der Wände von S. Marco zeigen. Be— 
wunderswert ist die Zielsicherheit der Steigerung, die in dem gran— 
diosen Schluß erst den höchsten Stand erreicht. Ein vierchöriges 
Magnificat steht dem genannten ebenbürtig zur Seite. Andrea schrieb 
neben vielen kirchlichen Werken, Messen, Psalmen, den Sacrae 
cantiones, auch weltliche Madrigale. 
Sein Neffe Giovanni Gabrieli (1557 1612) steht Andrea nicht 
nach. Seine Werke sind von demselben Geiste erfüllt wie die jenes. Auch 
seine Kunst wächst gleichsam aus den Mauern S. Marcos heraus. Seine 
Ssymphoniaesacrase enthalten im 1. Teil mehrchörige Motetten, 
im 2. neben Vokalwerken (Psalmen) auch instrumentale Kan— 
zonen und Sonaten, sowie Madrigale zum Singen oder Spielen, 
wodurch sie für die Entwickelung der Instrumentalmusik von Be— 
deutung werden. Während Andrea Lehrer des deutschen Meisters 
Hans LSeo Haßlers war, unterrichtete Giovanni Gabrieli den großen 
veinrich Schütz. Diese beiden sind es, welche den Stil der Gabrielis 
nach Deutschland verpflanzen und in ihrem Sinne weiterbilden. 
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