Full text: Musikgeschichte, Kulturquerschnitte, Formenlehre, Tonwerkzeuge und Partitur (1. Band)

4 Die Musik in Italien. 
des Firmin le Bel. Seine Kunst beruht zunächst ganz auf der nieder⸗ 
ländischen. Auch er schreibt eine Missa super 'omme arms. 
Erst nach und nach überwindet er den fremden Einfluß und 
wird er selbst, und seine Kunst die höchste Verklärung der kirchlich 
mehrstimmigen Vokalmusik überhaupt. 
Während Lassus vieler Herren Länder gesehen und ihre Ein⸗ 
drücke in sich aufgenommen, ist Palestrina nicht über die Grenzen 
seines Vaterlandes hinausgekommen. Geboren 1525 in Palestrina, 
zog er bereits 1551 nach Rom und wurde von Julius III. als 
Kapellmeister der Chorknaben zu St. Peter angestellt. Um 1554 
wird er päpstlicher Kapellsänger, wohl auf Grund seiner Kompo⸗ 
sitionen. Kurz nachher erhält er die Kapellmeisterstelle an S. Gio— 
pbanni im Lateran. 1565 ernennt ihn Pius IV. zum Compositore 
della capella Pontifica. 1571 wird er Kapellmeister an St. Peter. 
Die hübsche Erzählung, daß Palestrina die mehrstimmige Musik, 
als das Konzil von Trient sie aus der Kirche verbannen wollte, weil 
die Worte in dem Stimmengewirr unklar und verworren klängen, 
dadurch gerettet habe, daß er 3 Messen, darunter die berühmte Missa 
Papae Marcelli zu 6 Stimmen als Gegenbeweis komponierte, wird 
von R. Molitor (Nachtrident. Choralreform [1901 -02] J. S. 20ff.) 
als unrichtig erwiesen. Palestrina starb am 2. Februar 1594. 
Palestrinas Werke sind zum weitaus größten Teil geistliche. 
Während Lassus vom Weltlichen ausgehend zum Religiösen sich 
wendet, ist Palestrinas Kunst aus der Frömmigkeit seiner Seele ent— 
standen. Sie ist Gebet. Nicht subjektives Empfinden und Verlangen 
spricht aus ihr, nicht seine eigenen Freuden und Leiden schildert er 
uins. Seine Person tritt völlig zurück. Er ist nur der Mund der 
frommen Gemeinde, deren tiefstes Empfinden er in erhabenen Tönen 
ausspricht. Wie das Gebet ist auch diese Kunst eine harmonische, aller 
menschlichen Leidenschaft bare, erhabene Kunst, die in ihrer Objek— 
tivität das Gleichgewicht der Seele niemals stört oder aufhebt. Die 
Spannung in ihr ist, der Seelenbewegung entsprechend, eine stets 
gemäßigte, und demgemäß die Einschaltung von Widerständen, der 
Dissonanz mit ihrer strengen Vorbereitung und Auflösung unge⸗ 
mein maßvoll, so daß ihr jede Härte benommen ist. Dazu kommt noch 
die strenge, keusche Diatonik. 
Auch Palestrina baut seine Werke, wenigstens bis in seine spätere 
Zeit, über dem gregorianischen Cantus firmus auf, so an die 
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