Die Musik in Italien.
alte Tradition anknüpfend. Der Aufbau z. B. seiner Hymnen und
Motetten geschieht in der Weise, daß er die gregorianische Melodie,
dem Gedanken folgend, in kleine Abschnitte zerlegt. Diese einzelnen
Teile werden nun der Reihe nach imitatorisch behandelt auf Grund
des aus dem Cantus firmus gebildeten Motivs. Ihre Verknüpfung
geschieht so, daß der folgende Teil immer in der Schlußwen—
dung des vorhergehenden kunstvoll verankert wird. Die Ein—
heit des Kunstwerkes wird aber hervorgebracht durch den Cantus
firmus in seiner Gesamtheit. Es ist ein Bauen in horizontaler
Richtung, eine Flächenkunst, im Gegensatz zu der gotischen Höhen—
kunst J. S. Bachs. Diese entwickelt ihr Kunstwerk aus einem ein—
zigen Kern heraus, und die musikalische Triebkraft dieses Kerns
bestimmt allein die Form des Stückes. Palestrinas Kunst gleicht der
romanischen Baukunst mit ihrer deutlichen Sichtbarmachung
der statischen Gesetze, dem Verhältnis von Masse und Kraft und dem
dadurch hervorgerufenen Betonen des Horizontalen.
Die sehr große Zahl der Werke Palestrinas umfaßt alle Gebiete
der kirchlichen Musik: 15 Bände Messen, 9 Bände Motetten, je 1 Band
Hymnen und Offertorien, 3 Bände Lamentationen, 2 Bände Magni—
fikat und Litaneien. An weltlichen Werken liegen 4 Bände Madri—
gale vor.
Es war nur natürlich, daß die überragende Persönlichkeit Pale—
strinas auf die zeitgenössischen Künstler von tiefer Wirkung sein
mußte. In der Tat beherrscht sein Stil, der „reine Satz“ Palestrinas,
die Kunst nun vollkommen. Alle Meister dieser Zeit stehen unter
seinem Banne: Nanini, Franc. Anerio, Ruggiero Giovanelli mit
seinen wundervollen Doppelchören, Luca Marenzio, der Meister lieb—
licher Madrigale, Allegri mit seinem berühmten Miserere, und vor
allem der Spanier Tomaso, Ludovico da Villoria (* 1540), der früh
nach Rom kam, später in die Heimat zurückkehrte und dort 1613 starb.
Er kommt wohl seinem Vorbild am nächsten, ohne dabei seine Eigen—
art aufzugeben. Eines seiner edelsten Werke ist die Mässa quar—
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Literatur: G. Baini, G. Pierluigi da Palestrina, übersetzt von F. S. Kandler
1834 (ob seiner Einseitigkeit vorsichtig aufzunehmen); Brenet, Palestrina (in
„Maĩtres de la musique“ 1905); R. Casimiri, G. Pierluigi da Palestrina, Nuovi
documenti biografici Rom 1918); Hendrick Pyne, G. Pierluigi da Palestrina,
his life and his times (London 1922); *Bäumker, Palestrina. Eine zusammen—
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