Der neue Stil in Italien.
Der neue Stil in Italien.
Das Generalbaßzeitalter von 1600 — 1750.
Während die Kunst des mehrstimmigen Vokalsatzes in Palestrina
und Lassus das Höchste leistete, waren im geheimen bereits Kräfte am
Werke, welche mit der Jahrhundertwende eine ganz neue Kunst
hervorbringen sollten, einen vollständigen Umschwung der musikali—
schen Anschauungen. Wort und Ton, so eng sie auch im Kunstwerk
miteinander verbunden erscheinen, im stillen führen sie doch einen
Kampf miteinander, dessen Verlauf geradezu den Entwicklungsgang
der Musik bedingt. Beide wollen herrschen. Zu vollem Ausgleich
waren sie nur einmal, im gregorianischen Gesang gelangt. Mit der
Mehrstimmigkeit beginnt der Kampf von neuem und bringt den Sieg
der Musik über das Wort. Das Streben nach rhythmischer Freiheit
jeder einzelnen Stimme drängt das Wort immer mehr zurück und
macht es dem Hörer oft unverständlich. Dieser Vorwurf trifft vor
allem die Niederländer. Schon zu Beginn des 16. Jahrh. erheben
sich Klagen über die falsche Verbindung von Wort und Ton, und
hören nicht mehr auf. Bereits 1529 verlangt Rosetti, daß jedes
Wort in der Musik mit seiner richtigen Betonung auszuführen sei,
daß die Quantität der Silben sich auch in den Notenwerten scharf
auspräge. Andere, wie Zarlino, Zacconi oder der Deutsche Sethus
Calvisius, schließen sich diesen Forderungen an. Die Erweckung des
klassischen Altertums durch den Humanismus hatte das Ohr geschärft
für die Schönheit der Sprache, und man verlangt, daß diese durch die
Musik in keiner Weise gestört werde. Sethus Calvisius macht sich
bereits eine Vorstellung von antiker Musik. Tritonius schreibt 1509
eine Sammlung Hymnen und andere Dichtungen, in denen sich die
Noten in allen Stimmen genau der Prosodie des Textes anschließen.
Ihm folgt Senfl und vor allem Heinrich Schütz in seinen Psalmen
(. Vorrede zum 2. Bd.). Je mehr man dabei in den Geist der Sprache
eindrang und das in ihr verborgene Melos fühlte, desto stärker wurde
das Streben, die melodische Linie der Sprache, ihre Hebungen und
Senkungen, in bestimmten Tönen so zu fixieren, daß sie den leisesten
rhythmischen Schwingungen der Sprache sich anschmiegten. Die ganze
subtile Bewegung einer ausdrucksvollen Deklamation galt es in voller
Freiheit zur Musik zu erheben. So schwer es aber ist, eine vollendete,
wirklich freie deklamatorische Linie durch eine Vielheit von Sängern
54