Meister des neuen Stils. 55
und Sprechern ausführen zu lassen, um so schwerer war dies noch bei
einer Mehrstimmigkeit, bei der jede Stimme ihr Sonderrecht ver—
langte. Eine Lösung dieser Aufgabe war nur möglich durch Rückkehr
zum einstimmigen Gesang, am besten von einem einzigen Sän—
ger vorgetragen. — Der gesteigerte Individualismus der Renaissance
hatte sich in der Musik schon lange darin geäußert, daß der Sänger,
dessen Kunst um diese Zeit bereits zu hoher Virtuosität gelangt war,
danach trachtete, sich aus den Banden der Allgemeinheit des Chores
zu befreien und allein zu herrschen. Begierig greift er den neuen
Gedanken auf und wird zum Alleinherrscher. Zuerst verdrängt er alle
anderen Singstimmen neben sich und läßt ihre Noten durch Instru—
mente ausführen. Aber auch das genügt ihm nicht, die selbständige
Bewegung dieser Stimmen, die der seinen gleich ist, stört seine Herrsch—
sucht. Er drängt sie zurück zu einfacher, akkordischer Begleitung. über
dieser konnte er nun sich frei bewegen, frei deklamieren. Das Resultat
war ein den rhythmischen und melodischen Bewegungen der Sprache
genau nachgebildeter deklamatorischer Gesang rezitierender
Art, stilo recitativo genannt, der von einfachen instru—
mentalen Akkorden begleitet wird. Daß ein solches Rezitativ,
mag es noch so genau jeder Bewegung der Stimme folgen, jeder Stei—
gerung des Affektes Ausdruck geben, erst dann wirklich Musik wird,
wenn sich in seiner Linie zugleich das Gefühlsmäßige ausspricht,
beachtete man anfangs kaum. In diesem Stil glaubten die Gelehrten
das Mittel entdeckt zu haben, das alte griechische Drama von
neuem erstehen zu lassen; denn dieses sei auch ein gesungenes gewesen,
und der neue Stil entspreche dem Sprachgesang der Alten. Nun be—
gann man, diese Ideen zu verwirklichen, und so entstand das
Dramma per musica. Mit ihm beginnt die Geschichte der
Oper. In Florenz steht ihre Wiege. Dort in der Akademie im Hause
Bardis ist es besonders Vic. Galilei (der Vater des Astronomen),
welcher mit anderen Gelehrten den neuen Stil in seinen Schriften ver—
teidigte und einen erbitterten Kampf gegen den alten kontrapunkti—
schen Stil der Mehrstimmigkeit führte. In Peri und Caccini fanden
sie die ersten Musiker, die diesen Stil zur Grundlage ihrer Dramen
machten. Die Musik dieser Werke ist vollständig trockener Sprach—
gesang, nur einzelne kleine Chöre, und besonders Balletti, TDanz-—
lieder, bringen einige Abwechselung in diese Eintönigkeit. Die
Musik ist der Dichtkunst vollständig untergeordnet, ihre dienende
Magd.