Full text: Musikgeschichte, Kulturquerschnitte, Formenlehre, Tonwerkzeuge und Partitur (1. Band)

Kantate und Oratorium. 59 
Massen türmen, allerdings ohne den tiefen Gehalt der Werke der Vor—⸗ 
gänger. 
Nicht nur für die Entstehung und Entwickelung der Oper wurde 
die neue Kunst der Monodie, d. i. des instrumental begleiteten Solo— 
gesangs nach den deklamatorischen Grundsätzen dieser Richtung be—⸗ 
deutungsvoll, sondern auch auf allen andern Gebieten der weltlichen 
und nicht minder der kirchlichen Kunst. Teils werden vorhandene 
Formen von ihr ergriffen oder umgebildet, teils entstehen aus ihrem 
Geist heraus neue Formen. So wird das mehrstimmige Madrigal 
nun zum Solo-Madrigal für eine oder mehrere Solostimmen 
mit Instrumentalbegleitung. Ähnlich umgestaltet ist die Motette. Die 
einfachere Aria — das Lied — erhält bereits von Caccini eine kunst⸗ 
vollere kontrapunktische Begleitung, die zeigt, daß der Kampf gegen 
den Kontrapunkt diesen doch nicht hat verdrängen können. Sogar in 
die Oper schleicht er sich ein, wie besonders Steffano Landis „San 
Alessio“ zeigt, aber, indem die Stimmen das deklamatorische Prinzip 
beobachten, wird er maßvoller und ungekünstelter, einfacher und klarer, 
oft allerdings auch monotoner. Vor-, Zwischen- und Nachspiele, sog. 
Ritornelle, werden bei diesen Liedern allgemein. 
Von neuen Formen ist vor allem die Cantata(d. h. ein ge— 
sungenés Stück im Gegensatz zu Sonata, dem gespielten) zu 
nennen. In ihren Anfängen (Caccini) von Madrigal und Aria nicht 
zu unterscheiden, entwickelt sie sich zu immer größerer Selbständigkeit, 
besonders als dramatische Kantate. In ihr wechselt dramatisch 
akzentuierter Sprechgesang — Rezitativ — mit lyrischer Ausbrei— 
tung in ariosem Gesang. Parallel der Entwickelung der Oper in Neapel 
wird letztere dann häufig zur geschlossenen Arie. Bis auf J. Haydn 
geht diese Entwickelung, der in seiner Kantate „Ariadne auf 
Naxos“ eins der schönsten Muster dieser Gattung uns geschenkt hat. 
Besonders Händel macht sich diese Form nicht nur selbständig, sondern 
auch in den Oratorien — Dejaniraszene im 3. Akt des Herakles — zu— 
nutze. Eine andere Art ist die ungemein reichgepflegte Kammer— 
kantate, mehr lyrischer Art, die in Steffani und Händel ihre Voll— 
endung findet. 
Von noch größerer Bedeutung ist die Entstehung und erste Ent— 
wickelung des Oratoriums, parallel der Oper und von dieser aus— 
gehend. Die ersten Anfänge des geistlichen Dramas sind schwer zu 
bestimmen. Noch bei Cavalieris. An imaecorpo“ ist es wahrschein—
	        
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