Full text: Salpetersäure - Thonschiefer (9. Band)

702 THIERGIFTE. 
chronischen Infeetionskrankheiten als activ anzunehmen sind, so eng an, dass man 
sie überhaupt aus dem Gebiete der Gifte zu eliminiren hat. 
Beschränkt man den Begriff der Thiergifte auf diejenigen Substanzen, welche 
sich im lebenden Thiere ohne nachweisbare baeilläre Einflüsse bilden, so wird die 
Zahl derselben allerdings eine relativ kleine, da die genaueren Forschungen der 
neueren Zeit nachgewiesen haben, dass viele der Giftigkeit von der älteren Mediein 
geziehene Stoffe völlig schuldfrei sind. Bei den alten Griechen und Römern war 
der Glaube an die Giftigkeit des Stierblutes, aus dem die neuere Mediein ein 
Exztractum sanguinis bovinti als diätetisches Heilmittel für Kinder extrahirte, so 
verbreitet, dass sie TAEMISTOKLES, HANNIBAL und eine Anzahl anderer berühmter 
Männer daran zu Grunde gehen liessen. In dem gleichen bösen Rufe standen 
Pferdeblut, Bocksblut, Menstrualblut und das Blut und der Speichel rothhaariger 
Menschen. Selbst giftige Thiere, wie den in der wunderlichsten Weise im Mittel- 
alter abgebildeten Basilisk, dessen Gifthauch Menschen, Thiere und Pflanzen ver- 
zehre, hat die Giftlehre des Alterthums erfunden, 
An Stelle dieser Pseudogifte hat die neuere Forschung allerdings eine 
Menge von Substanzen festgestellt, die sich in nicht eigentlichen Giftthieren unter 
dem Einflusse normalen oder abnormen Stoffwechsels bilden. Sie hat nachgewiesen, 
dass eine Reihe von Auswurfsstoffen des Thierkörpers giftige Eigenschaften be- 
sitzen, wie solche z. B. dem Harnstoff, dem Kreatin und vor allem den auf das 
Herz lähmend wirkenden Gallensäuren zukommen. Sie hat gezeigt, dass bei der 
Verdauung giftige Stoffe auftreten, die unter gewissen Verhältnissen im Körper 
sich anhäufen und zu krankhaften Erscheinungen führen, wofür man den Namen 
Autointoxication (Selbstvergiftung) erfunden hat. Ein prägnantes Beispiel für 
die Bildung von Giften unter abnormen Lebensbedingungen gibt die Miesmuschel, 
welche in stagnirendem Wasser das heftig curareartig wirkende Mytilotoxin 
(Bd. VII, pag. 262) erzeugt. 
Die eigentlichen Giftthiere bilden ihr Gift entweder in allen Weichtheilen ihres 
Körpers oder in eigenen, geradezu für die Giftabsonderung bestimmten und häufig 
mit einem als Vertheidigungswaffe dienenden, entweder an den Beisswerkzeugen 
oder am Hintertheile angebrachten Apparate_in_ Verbindung stehenden Drüsen 
(Giftdrüsen). 
Das Vorkommen eines besonderen Giftes in allen Weichtheilen ist für die can- 
tharidinhaltigen Käfergattungen Lytta, Meloe, Mylabris und einige andere Genera 
der Abtheilung der Vesicantia erwiesen, auch scheinen in den Larven einiger 
anderer Käfer (Curculio Oryzae und CU. antodontalgica) und in der zu den 
Orthopteren gehörenden Huechys sanguinea Amyol und in den Raupen einzelner 
Schmetterlinge, z. B. des Gabelschwanzes oder Hermelinspanners, Harpyıa vinula 
Ochs., scharfe Stoffe zu existiren. Im ganzen Körper verbreitet ist auch das 
im ganzen Blutserum enthaltene Gift der Muraeniden (Bd. VII, pag. 158). In 
einzelnen giftigen Thieren ist das Gift anscheinend in allen Weichtheilen vorhanden, 
localisirt sich aber besonders in einzelnen Organen, so bei Fischen in _ der Leber, 
in den Eierstöcken und Hoden, bei Muscheln in der Leber. 
Bei gewissen Spinnen (Karakurt, jungen Kreuzspinnen) ist das Gift allgemein 
verbreitet, aber noch in hervorragender Weise in bestimmten Drüsen, in der Nähe 
der Beisswerkzeuge, vorhanden (KOBERT). 
Die niedrigste Abtheilung des Thierreichs, in welcher Giftapparate existiren, 
bilden die Coelenteraten., Bei verschiedenen im Meere lebenden Polypen und Quallen 
kommen im ganzen Körper und am zahlreichsten an den Fangarmen sogenannte 
Nesselorgane vor, d h. derbe, in dieken Kapseln eingeschlossene, spiralig 
eingerollte , mit feinen nach rückwärts gerichteten Härchen besetzte Fäden, die 
unter gewissen Verhältnissen hervorschnellen- und bei Berührung mit der mensch- 
lichen Haut jene höchst lästige Empfindung bediugen, die wir nach Einwirkung
	        
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