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christlichen unsterblichen Wesen dem Kloster des Katholicismus ent—
sprungen ist. Daß aber der Tod nicht im Widerspruch mit dem Wesen
des Menschen steht, daß folglich die christliche Unsterblichkeit, also das
Wesen des Christenthums überhaupt nur auf den Zwiespalt und Wider⸗
spruch des menschlichen Bewußtseins und Willens mit dem menschlichen
Wesen, wie ich eben mich ausdrückte, gegründet ist, davon haben wir
einen Beweis an den Greisen, bei welchen man „meist keine Furcht vor
dem Tode*), oft ein aufrichtiges Verlangen nach demselben findet, das
durch Marasmus wie bei Kant selbst zu einem ungeduldigen Sehnen gestei⸗
gert werden kann.“**) Diesem ungeduldigen Sehnen Kants lag aber
nicht etwa das Verlangen nach dem Jenseits zu Grunde, denn kurz vor
seinem Tode antwortete er auf die Frage: was er sich von der Zukunft
verspreche? „nichts Bestimmtes“ und ein andermal: „von dem
Zustand weiß ich Nichts.“ Sehr wahr und schön ist daher, was
Cicero am Schlusse seiner Schrift de Senectute sagt: Quodsi non
sumus immortales futuri, tamen exstingui homini
suo tfempore optabile est. Nam babet natura, ut aliarum
omnium rerum, sic vivendi modum, senectus autem peractio
aetatis est tangam fabulae, cujus defatigationem fugere debemus,
praesertim adjuncta satietate.
„Die Tscheremissen . ... bekannten, daß sie nicht würdig seien,
zu einem andern Leben erhoben zu werden.““ Sollten wir aber nicht
sammt und sonders so ehrlich sein, zu bekennen, daß wir eines andern
Lebens unwürdig sind? Wie bringen wir denn dieses Leben zu? in
langweiligen Gesellschaften, in kleinlichen Stadtklatschereien, in politi—
) Uebrigens ist die Furcht vor dem Tode gar kein Beweis von dem Widerspruch
des Todes mit dem Wesen des Menschen, denn diese Furcht beruht bei den Menschen
oft auf den allerthörichtsten Vorstellungen.
*) Burdach: Physiologie III. B.