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Leben des Geliebten nehmen lassen, wie den Tod, die schrecklichste Ver—
neinung sich gefallen lassen, anerkennen? Aber es ist nur Selbsttäu⸗
schung, wenn wir glauben, in diesem Kampfe unseres Herzens mit dem
Tode für den Todten zu streiten — wir kämpfen nur für uns selbst;
wir denken, was uns drückt, drücke auch den Todten, wir befreien ihn
daher von den Banden des Todes nur, um uns selbst von den Banden
des Schmerzes zu befreien. Wir bedenken nicht, daß wir mit unsern
Unsterblichkeitsbeweisen viel zu spät kommen, daß wir den Todten ja
vor unsern Augen haben that- und machtlos sterben, also den schwer—
sten, sauersten Act, den Sterbeact bestehen lassen, der Todte jetzt aber
keine Bedürfnisse, folglich auch nicht das Bedürfniß des Lebens mehr
hat; wir bedenken nicht, daß es nur einen einzigen Beweis der Unsterb—
lichkeit giebt — und dieser heißt und ist: Nicht sterben. Wir sind
daher in unsern Unsterblichkeitsbeweisen, unsern Kämpfen für das Leben
geliebter Todten wahre Don Quijote; wir kämpfen gegen einen blosen
Schatten, kämpfen gegen den Tod und lassen doch unsere Geliebten
sterben; wir kämpfen also nicht gegen das wahre Uebel, sondern ein
Scheinübel, ein Uebel nur in unsrer Einbildung, in unserm Sinne,
aber nicht im Sinne der Todten. Wenn daher eine allmächtige Liebe
existirte, so wäre der Beweis ihrer Existenz nur dieser, daß sie den Men—
schen nicht sterben ließe. Die Allmacht, die erst nach dem Tode wieder
den Menschen ins Leben ruft, ist nur die Allmacht der menschlichen Ein—
bildungskraft.
Endlich ist auch noch zu bemerken, daß der auf das Bedürfniß des
Wiedersehens gestützte Unsterblichkeitsgrund nur auf eine particuläre
Unsterblichkeit führt; denn es giebt unzählige Menschen, die dieses Be—
dürfniß nicht fühlen, vielmehr statt des Wunsches des Wiedersehens
der lieben Freund-⸗, Vetter- und Gevatterschaft, den Wunsch des Nicht—
mehrsehens haben. Es sind nur die innig sich Liebenden, die den Tod
schmerzlich empfinden, und selbst diese würden doch auch in der Unsterb—
lichkeit nicht ihre Wünsche befriedigt finden; denn die Liebe will den
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