Full text: Pierre Bayle (6. Band)

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entferntesten Grade nachweisen laffe. Wenn aber auch nur die geringste 
Neigung zwischen Beiden vorhanden waͤre, würde man nicht lieber die 
Augen ein wenig zudruͤcken oder die Urkunden selbst verfälschen oder 
wenigstens allerlei diplomatische Finten ersinnen, wie die rationalisti⸗ 
schen Theologen thaten, um die Hindernisse ihrer Befreundung zu be⸗ 
M seitigen, als sich so streng an den buchstäblichen Sinn der Urkunde 
halten? Wie ist es möglich, daß man es aufrichtig mit dem Glauben 
meint, wenn man gegen ihn, der doch einmal nicht umhin kann, mit 
der Vernunft unter einem Dache zu leben, die Vernunft aufhetzt, indem 
man nachweist, wie er ihr überall widerspricht? Heißt das nicht am 
Ende den ganzen Menschen gegen ihn aufwiegeln und ihm abspenstig 
machen? Ist es nicht besser, um Frieden zu erhalten, sich selbst Täu⸗ 
schungen vorzumachen? 
Aber ach! der Glaube ist verschwunden. Wo der Glaube ein 
wahrer ist, da ist er auch ein natürlicher, da versteht ihn der 
Mensch, da ist er ihm nichts Fremdes, da denkt er auch in ihm oder 
lebt eben so in ihm fort. Aber wo der Mensch bemerkt und sagt, daß 
der Glaube der Vernunft widerspricht, da ist er aus dem Glauben her— 
aus, da hat sich die Vernunft von dem Glauben losgewunden, selbst— 
staͤndig gemacht, den Glauben als ein Objekt sich gegenüber gestellt, 
das zunächst ein Objekt der Reflexion, dann des Zweifes, hernach der 
Kritik, endlich der Verwerfung wird. Wo der Glaube ein wahrer ist, 
da ist er überall. Allgegenwart ist das Merkmal der Wahrheit im 
Menschen. Wer etwas Anderes im Herzen als im Kopfe hat, ist eine 
Mißgeburt, die in Weingeist auf einem anatomischen Theater verdient 
aufbewahrt zu werden, denn selbst das anatomische Herz steht nicht 
isolirt da, wie man früher glaubte, sondern es hat Nerven. Wo der 
Glaube nicht uͤberall, nicht in der Vernunft auch ist, da ist er nicht der 
Gott der Seele, sondern ein endliches, beschränktes, partikuläres 
Ding, da ist der Glaube kein absoluter Glaube, folglich kein wahrer 
mhren denn nur der absolute Glaube ist Glaube — da glaubt man, daß
	        
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