Full text: Pierre Bayle (6. Band)

da war, man wußte nicht woher, gespendet wurde — Brosamen, die 
von der mit himmlischen Speisen überladenen Tafel der Geistlichkeit 
übrig blieben. Und dieses Almosen wollt ihr so hoch anschlagen? Die 
Wissenschaften beginnen in Wahrheit erst da, wo wissenschaftlicher Geist 
beginnt, und dieser beginnt gerade da, wo die Wissenschaften außer die 
Klöster hinaus in die Hände freier Menschen übergehen, solcher Men— 
schen, welche nicht genöthigt waren, das Licht der Wissenschaft unter 
den Scheffel des Glaubens zu stellen. Erasmus ist ein schönes Beispiel 
dieses Uebergangs. In ihm emancipirte sich der wissenschaftliche Trieb 
— ad litteras tantum rapiebatur animus, wie er von sich selbst sagt in 
seinem Briefe an den Prior seines Klosters — aber eben deßwegen ent⸗ 
sprang er aus seinem Kloster. Das Klosterleben widersprach eben so 
seinem geistigen, als seinem physischen Menschen. Die Körper revolu— 
tioniren eben so gut, als die Geister. 12 
Zweites Kapitel. 
Der Profestantismus oder der Gegensaß von Glaube und vernunft. 
Der Widerspruch des Katholicismus mit dem Wesen des Men— 
schen war der innere Grund der Reformation. Der Protestantismus 
hob den falschen Gegensatz von Fleisch und Geist auf. Er fuüͤhrte unter 
Sang und Klang 1 den Menschen aus dem Kirchhof des Katholicis— 
mus wieder ins bürgerliche und menschliche Leben ein. Er verwarf 
daher vor Allem auch das Caͤlibat als eine dem Naturrecht des Men⸗ 
schen widersprechende, gottlose, willkührliche Satzung. Aber der Pro— 
n nnol testantismus befreite und errettete den Menschen nur von seiner prakti— 
schen, nicht von seiner theoretischen oder intelligenten Seite: die 
höhern Ansprüche, die Rechte des Erkenntnißtriebes, die Ansprüche 
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