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Wir haben hier denselben Widerspruch zwischen Geist und Persönlichkeit, der uns
früher auf dem Gebiete des Theoretischen begegnete, zu erkennen. Bs Persen, B.'s
Wille ist der Glaube, B.'s Geist, B.'s natürliches Bedürfniß der Unglaube; der
Glaube sein Kanon, sein Taufnahme, die Vernunft sein apokryphisches und anonymi⸗
sches Princip. B. gesteht nicht ein, daß Er Autor ist „um dadurch den Widerspruch,
in dem sein paradoxer Geist mit ihm selbst und seinen Zeitgenossen steht, auszugleichen.
Der Unglaube ist in ihm noch nicht unmittelbare, persönliche Wahrheit geworden.
Allerdings liegen also B.s Anonymität Rücksichten auch mit zu Grunde, aber Rück—
sichten, die selbst Berücksichtigung verdienen. B. ist überhaupt von Charakter nichts
weniger als eine verneinende, sondern schonende, anerkennende, wie Leibnitz, mehr zum
Lobe, als zum Tadel geneigte Natur, wie er selbst an einer Stelle (Républ. des lett.
P. 71) von sich bemerkt und unter anderm eben dieses sein Journal auch beweist.
Falsch wäre es offenbar, wenn man seiner Namensverheimlichung, die er so weit trieb,
daß er selbst seinem Dictionnaire durchaus nicht seinen Namen vorsetzen wollte und
nur durch die Rücksicht auf seinen Buchhändler endlich von diesem Vorsatz abgebracht
wurde, die Motive kleinlicher Eitelkeit unterlegen wollte. Dieses Motiv koönnte höch⸗
stens nur bei seinen ersten Produktionen angenommen werden, so wenn er dem Minu—
toli seine satyrische Harangue nebst einer Kritik derselben überschickt, mit der Bitte:
Vous m'obligeréz de m'apprendre votre sentiment sur ces pièces-la, car un de mes
amis de Paris qui connost l'auteur de la seconde pièce et qui peut- etre par préven⸗
tion pour son ami, penche à croire que la harangue ne vaut rien „m'a engagé à lui
promettre que je lui écrirois mon sentiment sur lune et l'autre ete. (L. 36.) Aber
schon wenn er denselben Freund ersucht, seine Meinung zu sagen über die Pensées
diyerses, im Falle das Buch ihm zu Gesicht kommen sollte, mit dem Zusatz: il a fait
du bruit en ce paĩs à ceause de quelques paradoxes dont il traite (lettre 50): so hat
er offenbar hierbei kein anderes Interesse als das, ein freies, unparteiisches Urtheil
zu erfahren. B. wußte übrigens selbst nur zu gut, was er und was er nicht von
seinen Schriften zu halten habe (s. z. B. seine Urtheile über seine Reponse aux quest.
lettre 298, 311), bekümmerte sich zu wenig um Lob und Tadel, wenn ihm gleich die
objektive Beschaffenheit seiner Schriften nichts weniger als gleichgültig war, hatte einen
viel zu ungebundenen, flotten Sinn, d. h. war zu wenig auf sich selbst und seine Mei—
nungen versessen, war schon als Skeptiker zu sehr praktischer Spinozist, als daß wir
die Motive kleinlichen Ehrgeizes bei ihm annehmen könnten und dürften. Falsch waäͤre
es daher auch, wenn wir hinter seiner Anonymität gemeine Furcht und Feigheit suchen
wollten. B. hat wenig oder gar nichts zu verlieren: wer aber mit leeren Taschen seine
Straße dahin zieht, der fürchtet keinen Räuber. Cantabit vacuus coram latrone viator.
Druck von Otto Wigand in Leipzig.
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