Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

christliche Gott als Gegenstand des Genusses im Sinne der Augustin'⸗ 
schen Unterscheidung des Genusses von Benützung ist eben so gut ein 
Gegenstand des Egoismus, wie der Gegenstand des körperlichen Ge— 
nusses bei den Heiden, der gleichwohl ein Gegenstand der Religion ist. 
Den Widerspruch, daß der Mensch als Gott verehrt, was er verzehrt, 
ein Widerspruch, der aber, wie eben gezeigt, dem christlichen Abhängig— 
keitsgefühl eben so gut eigen ist, nur daß er wegen der Natur seines 
Gegenstandes nicht so augenfällig ist“), — diesen Widerspruch sprechen 
manche Völker auf eine wirklich höchst naive, ja rührende Weise aus. 
„Trage es uns nicht nach, sagten gewisse Nordamerikaner zu dem Bä— 
ren, wenn sie einen erlegt hatten, daß wir Dich getödtet haben. Du 
bist verständig und siehst ein, daß unsere Kinder Hunger haben. Sie 
lieben Dich und wollen Dich verzehren. Macht es Dir nicht Ehre, 
von den Kindern des großen Capitäns verzehrt zu werden?“ „Charlevoir 
erzaͤhlt von Anderen, bei welchen der, so einen Bären erlegt hat, dem 
todten Thiere eine brennende Pfeife ins Maul steckt, in den Kopf der 
Pfeife bläͤst, die Kehle des Bären mit Rauch füllt und dann bittet, daß 
der Bär das Geschehene nicht rächen möge. Während der Mahlzeit, 
an welcher man den Bären verzehrt, stellt man den mit allerlei Farben 
bemalten Kopf an einen erhabenen Platz, wo er die Anbetungen und 
Loblieder aller Gäste empfängt.“ (Meiners a. a. O.) Die alten 
Finnen sangen beim Zerstückeln des Bären folgendes Lied: „Du theu—⸗ 
res, überwundenes, schwerverwundetes Waldthier, bringe unsern Hüt— m 
ten Gesundheit und Raub, wie Du ihn liebst, hundertweis, und sorge, 
wenn zu uns kommst, für unsre Bedürfnisse. . . . Ich will Dich im— 
merfort ehren und Beute von Dir erwarten, damit ich mein gutes Bä— n 
renlied nicht vergessen dürfe.“ (Penannt, Arktische Zoologie.) Wir sehen 
hieraus, wie ein Thier, das getödtet und verzehrt wird, doch zugleich 
verehrt werden kann und umgekehrt der Gegenstand der Verehrung zu— 
) Im Cultus, im Genusse des Abendmahls ist er auch hier ein augenfälliger 
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