Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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Nothwendigkeit für mich, diesen endlosen Verlauf abzubrechen, 
ist noch kein Beweis von dem wirklichen Abbruch dieses Verlaufs, 
von einem wirklichen Anfang und Ende. Selbst innerhalb der in das 
Bewußtsein des Menschen fallenden, historischen, ja vom Menschen selbst 
producirten Dinge sehen wir, wie der Mensch theils aus Unwissenheit 
allerdings, theils aber auch aus bloßer Abkürzungs- und Bequemlich— 
keitsliebe die historischen Untersuchungen abbricht, an die Stelle vieler 
Namen, vieler Ursachen, die es zu weitläufig, zu lästig wäre zu verfol— 
gen, und die sich auch oft gänzlich den Augen des Menschen entziehen, i 
Eine Ursache, Einen Namen setzt. Wie der Mensch an die Spitze einer 
Erfindung, der Gründung eines Staats, der Erbauung einer Stadt, 
der Entstehung eines Volkes den Namen Eines Individuums setzt, ob— 
gleich eine Menge von unbekannten Namen und Individuen daran mit— 
gewirkt haben, so setzt er auch an die Spitze der Welt den Namen Got— 
tes, gleichwie denn auch alle Erfinder, Städte- und Staatengründer 
ausdrücklich für Götter galten. Die meisten alten Namen von historischen 
oder mythischen Menschen, Helden und Göttern sind daher Collectivna— 
men, die aber zu Eigennamen wurden. Selbst das Wort Gott ist ursprüng— 
lich, wie freilich alle Namen, kein Eigennamen, sondern ein allgemeiner oder 
Gattungsname. (9) Selbst in der Bibel werden das griechische Wort: 
Theos und das hebräische Wort: Elohim von andern Gegenständen als 
Gott gebraucht. So heißen die Fürsten und Obrigkeiten Götter, der 
Teufel der Gott dieser Welt, der Bauch sogar der Gott der oder 
wenigstens einiger Menschen — eine Stelle, worüber sich selbst Luther 
entsetzt. „Wer hat jemals, sagt er, solche Rede gehöret, daß der Bauch 
Gott sei? Ich duͤrfte nicht also reden, wenn nicht Paulus zuvor also 
geredet hätte, denn ich wüßte nicht schändlicher zu reden. Ists nicht ein 
Jammer, daß der schändliche, stinkende Dreckbauch soll ein Gott heißen?“ 
Ja selbst in der philosophischen Bestimmung, daß Gott das allerrealste, 
d. h. allervollkommenste Wesen, der Inbegriff aller Vollkommenheiten, 
ist Gott eigentlich nur ein Collectivnamen; denn ich brauche von den 
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