Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

verschiedenen Eigenschaften, die in Gott zusammengefaßt werden, nur 
ihre Verschiedenheit hervorzuheben, so machen sie auf mich den Eindruck 
von verschiedenen Dingen oder Wesen, und ich finde, daß das Wort 
Gott ein eben so unbestimmtes Collectiv- oder Sammelwort ist, als z. B. 
das Wort Obst, Getraide, Volk. Jede Eigenschaft Gottes ist ja Gott 
selbst, wie die Theologie oder theologische Philosophie sagt, jede Eigen— 
schaft Gottes kann daher fuͤr Gott selbst gesetzt werden. Selbst im ge— 
meinen Leben sagt man statt Gott die göttliche Vorsehung, die göttliche 
Weisheit, die göttliche Allmacht. Aber die Eigenschaften Gottes sind 
sehr verschiedener, ja widersprechender Natur. Halten wir uns nur an 
die populärsten Eigenschaften. Wie verschieden sind Macht, Weisheit, 
Gute, Gerechtigkeit! Man kann mächtig ohne Weisheit, und weise ohne 
Macht, gütig ohne Gerechtigkeit und gerecht ohne Güte sein! Fiat 
justitia pereat mundus; die Welt mag untergehen, wenn nur das 
Jus, das Recht gilt, ist ein Ausspruch der Jurisprudenz, der Gerech— 
tigkeit; aber in diesem charakteristischen Ausdruck der Justiz liegt gewiß 
kein Funke von Güte, und selbst nicht von Weisheit; denn der Mensch 
ist nicht der Gerechtigkeit oder Justiz wegen, sondern die Justiz ist des 
Menschen wegen. Wenn ich mir daher die Macht Gottes vorstelle, die 
Macht, welche mich, wenn sie nur will, vernichten kann, oder wenn ich 
mir die Gerechtigkeit Gottes im Sinne des eben angeführten Ausspruchs 
vorstelle, so stelle ich mir unter Gott ein ganz anderes Wesen vor, so 
habe ich in der That einen ganz anderen Gott, als wenn ich mir seine 
Güte nur vorstelle. Es ist daher kein so großer Unterschied zwischen 
Polytheismus und Monotheismus, als es scheint. Auch in dem Einen 
Gott stecken kraft der Vielheit und Verschiedenheit seiner 
Eigenschaften viele Götter. Der Unterschied ist höchstens nur 
der, der zwischen einem Sammel- und Gattungswort ist. Oder viel— 
mehr der: im Polytheismus ist Gott offenbar, augenfällig, nur ein 
Sammelwort; im Monotheismus fallen die sinnlichen Kennzeichen weg, 
vo den fäͤllt der Schein des Polytheismus, aber das Wesen, die Sache ist ge⸗ 
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