Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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praktische Politif. Wir wollen uns unmittelbar, handelnd an der Po— 
litik betheiligen; es fehlt uns die Ruhe, der Sinn, die Lust zum Lesen 
und Schreiben, zum Lehren und Lernen. Wir haben uns lange genug 
mit der Rede und Schrift beschäftigt und befriedigt; wir verlangen, daß 
endlich das Wort Fleisch, der Geist Materie werde; wir haben ebenso 
wie den philosophischen, den politischen Idealismus satt; wir wollen 
jetzt politische Materialisten sein. Zu diesem allgemeinen, in der Zeit 
liegenden Grund meines Widerstrebens gegen das Dociren gesellen sich 
nun aber noch andere persönliche Gründe. Ich bin, von meiner theo— 
retischen Seite betrachtet, von Natur weniger zum Lehrer, als zum 
Denker, zum Forscher bestimmt. Der Lehrer ermüdet nicht und darf 
nicht ermüden Etwas tausendmal zu sagen, mir aber genügt es, Etwas 
nur einmal gesagt zu haben, wenn ich wenigstens das Bewußtsein habe, 
es recht gesagt zu haben. Mich interessirt und fesselt ein Gegenstand 
nur so lange, als er mir noch Schwierigkeiten macht, als ich noch nicht 
mit ihm im Reinen bin, als ich mit ihm gleichsam noch zu kämpfen 
habe; habe ich ihn aber überwunden, so eile ich zu einem andern, einem 
neuen Gegenstand; denn mein Sinn ist nicht auf ein bestimmtes Fach, 
einen bestimmten Gegenstand eingeschränkt; er interessirt sich für alles 
Menschliche. Allerdings bin ich nichts weniger, als ein wissenschaft— 
licher Geizhals oder Egoist, der nur für sich sammelt und sorgt; nein! 
was ich für mich thue und denke, muß ich auch für Andere denken und 
thun. Allein ich habe doch nur das Beduürfniß so lange Andere über 
Etwas zu belehren, als ich in ihrer Belehrung zugleich mich selbst be— 
lehre. Mit dem Gegenstand dieser Vorlesungen, der Religion, bin ich 
aber längst im Reinen, ich habe ihn in meinen Schriften nach allen sei— 
nen wesentlichsten oder wenigstens schwierigsten Seiten erschöpft. Ich 
bin ferner weder eine schreib- noch redselige Natur. Ich kann eigentlich 
nur reden und schreiben, wenn der Gegenstand mich in Affect, in Be⸗ 
geisterung versetzt. Aber der Affect, die Begeisterung hängt nicht vom 
Willen ab, und richtet sich nicht nach der Uhr, stellt sich nicht zu be—
	        
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