Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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Sensorium Gottes, d. h. das Organ, wodurch Gott allen Dingeñ 
gegenwärtig ist, alle Dinge empfindet. Eben so steht Newton Raum 
und Zeit „als Folge von dem Dasein Gottes an, denn das unendliche 
Wesen ist an allen Orten, also existirt dieser unermeßliche Raum; das 
ewige Wesen custirt von Ewigkeit, also existirt wirklich eine ewige 
Dauer.“ Auch ist wirklich nicht einzusehen, warum nicht die Zeit, ab⸗ 
getrennt von den zeitlichen Dingen, mit Gott identiflcirt werden sollte; 
denn die abstracte Zeit, in der kein Unterschied zwischen Jetzt und Dann 
(denn es fehlt ja der unterscheidende Inhalt), läßt sich nicht von der 
todten, stabilen Ewigkeit unterscheiden. Ja, die Ewigkeit ist selbst nichts 
Andres, als der Gattungsbegriff der Zeit, die abstracte Zeit, die Zeit 
abgesondert von den Zeitunterschieden. Kein Wunder daher, daß die 
Religion die Zeit zu einer Eigenschaft Gottes oder zu einem selbststän— 
digen Gott gemacht hat. So macht der indische Gott Krischna in der 
Bhagavadgita, freilich unter unzähligen andern Dingen, die Zeit zu 
einem Prädicat d. i. Ehrentitel von sich, indem er sagt: Ich bin die 
Zeit, die Alles erhält und Alles zerstört 9) So ist auch bei den 
Griechen und Römern die Zeit unter dem Namen von Kronos und Sa— 
turnus vergoͤttert worden. In der persischen Religion steht sogar an der 
Spitze als das erste, oberste Wesen Zaruano-akarana d. h. die uner— 
schaffene Zeit. Eben so war bei den Babyloniern und Phöniciern 
der Gott der Zeit oder der Herr der Zeit, der König der Ewigkeit, wie 
er auch heißt, der höchste Gott. Wir sehen an diesem Beispiel, wie der 
4 Mensch in Gemaͤßheit oder im Einklang mit der Natur der Thätigkeit, 
wodurch er abstrahirt, allgemeine Begriffe bildet, aber im Widerspruch 
l mit der Natur der wirklichen Dinge die allgemeinen Begriffe, Vor— 
hih stellungen oder Anschauungen von Raum und Zeit, wie sie Kant nennt, 
s hf tin⸗ den sinnlichen Dingen voraussetzt als Bedingungen oder vielmehr die 
hol iden⸗ ersten Gruünde und Elemente ihrer Existenz, ohne zu bedenken daß in 
m Une⸗ der Wirklichkeit gerade der umgekehrte Fall gilt, daß nicht die Dinge 
mu Raum und Zeit, sondern Raum und Zeit die Dinge voraussetzen, denn
	        
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