Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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der Raum oder die Ausdehnung setzt Etwas voraus, das sich ausdehnt, 
und die Zeit, die Bewegung — die Zeit ist ja nur ein von der Bewe— 
gung abgezogener Begriff — setzt Etwas voraus, das sich bewegt. 
Alles ist räumlich und zeitlich; Alles ein Ausgedehntes und Bewegtes; 
gut; aber die Ausdehnung und Bewegung sind so verschieden, als die 
ausgedehnten und bewegten Dinge. Alle Planeten bewegen sich um 
die Sonne; aber jeder hat seine eigene Bewegung, der eine bewegt 
sich in kürzerer, der andere in längerer Zeit, je näher der Sonne, desto 
schneller, je entfernter von ihr, desto langsamer. Alle Thiere bewegen 
sich, wenn auch nicht alle von Ort und Stelle sich wegbewegen; aber 
wie unendlich verschiedenartig ist diese Bewegung! Und jede Art der 
Bewegung entspricht dem Bau, der Lebensart, kurz dem individuellen 
Wesen derselben. Wie will ich also aus der Zeit und dem Raum, aus 
bloßer Ausdehnung und Bewegung diese Verschiedenheit erklären und 
ableiten? Ausdehnung und Bewegung sind ja vielmehr abhängig von 
dem Etwas, von dem Körper, von dem Wesen, das ausgedehnt und 
bewegt ist. Was daher für den Menschen, oder wenigstens für seine 
Abstractionsthätigkeit das Erste ist, das ist für die Natur oder in ihr 
das Letzte; aber weil der Mensch das Subjective zum Objectiven macht, 
d. h. das, was für ihn das Erste ist, auch zu dem an sich oder der 
Natur nach Ersten macht, so macht er auch Raum und Zeit zu den ersten 
Grundwesen der Natur, so macht er überhaupt das Allgemeine, d. h. 
das Abstracte zum Grundwesen des Wirklichen, folglich auch das We⸗ 
sen mit allgemeinen Begriffen, das denkende, geistige Wesen zu dem 
ersten Wesen, zu dem Wesen, welches nicht nur dem Range nach, son— 
dern auch der Zeit nach allen anderen Wesen vorangeht, ja aller Wesen 
Grund und Ursache ist, alle Wesen geschaffen, gemacht hat. 
Die Frage, ob ein Gott die Welt geschaffen, die Frage nach dem 
Verhältniß überhaupt Gottes zur Welt, ist die Frage nach dem Verhält— 
niß des Geistes zur Sinnlichkeit, des Allgemeinen oder Abstracten zum 
Wirklichen, der Gattung zu den Individuen; jene kann daher nicht 
ohne diese gelöst werden; denn Gott ist ja nichts Andres, als der In—
	        
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