Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

alle Menschen darin übereinstimmen, daß jeder einen Kopf hat. Wenn 
ich aber nun trotz dieser Uehereinstimmung läugne, daß alle Menschen 
nur Einen Kopf haben — was, nämlich die Einheit des Kopfes, eine 
nothwendige Folge von der Vorstellung ist, daß die Einheit der Gat— 
tung im Unterschiede von den Individuen etwas Existirendes, Selbst— 
ständiges ist, namentlich aber von der Vorstellung, daß alle Menschen 
nur Eine Vernunft haben —, wenn ich behaupte: es giebt so viele 
Köpfe, als es Individuen giebt, wenn ich also den Kopf mit dem In⸗ 
dividuum identificire, sie nicht von einander unterscheide oder gar ab— 
trenne, folgt daraus, daß ich die Bedeutung und Existenz des Kopfes 
läugne, daß ich den Menschen zu einem kopflosen Wesen mache? Im 
Gegentheil, statt eines Kopfes bekomme ich viele Köpfe, und wenn 
vier Augen mehr sehen, als zwei, so leisten auch viele Köpfe unendlich 
mehr, als ein Kopf; ich habe daher, statt etwas zu verlieren, nur ge— 
wonnen. Wenn ich also den Unterschied zwischen Gattung und Indi— 
viduum aufhebe, wenn ich ihn nur im Denken, im Unterscheiden, im 
Abstrahiren existiren lasse, so läugne ich deswegen nicht die Bedeutung 
des Gattungsbegriffes; ich behaupte nur, daß die Gattung nur als 
Individuum oder Prädicat des Individuums existirt (15). Ich läugne 
nicht, um die früheren Beispiele hier wieder anzuwenden, die Weisheit, 
die Guͤte, die Schönheit; ich läugne nur, daß sie als diese Gattungs— 
begriffe Wesen sind, sei es nun als Götter oder Eigenschaften Gottes 
oder als platonische Ideen oder als sich selbst setzende Hegel'sche Be— 
griffe; ich behaupte nur, daß sie nur in weisen, guten, schönen Indivi— 
duen existiren, also nur, wie gesagt, Eigenschaften individueller 
Wesen sind, daß sie keine Wesen für sich, sondern Attribute oder Be— 
stimmungen der Individualität sind, daß diese Allgemeinbegriffe die In— 
dividualitaͤt voraussetzen, aber nicht umgekehrt (15). Der Theismus 
beruht nun gerade aber darauf, daß er die Gattungsbegriffe, wenig— 
stens den Inbegriff derselben, welchen er Gott nennt, als Ent— 
stehungsgrund den wirklichen Dingen voraussetzt, daß er das Allgemeine 
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