Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

menhängen, und wenn es gleich andere eben so merkwuͤrdige Erschei— 
nungen giebi, denen wir gleichwohl kein Bedenken tragen eine natur— 
liche, nicht absichtliche Ursache zuzuschreiben, so heben wir doch nur diese 
den menschlichen Egoismus interesstrenden Erscheinungen hervor, uüber— 
sehen ihre Aehnlichkeit mit jenen anderen fuͤr uns aber gleichgültigen 
Erscheinungen, und, betrachten sie nun als Beweise einer besonderen, 
absichtlichen Vorsehung, als, so zu sagen, natürliche Mirakel. „Wir 
athmen in niederer Temperatur, sagt Liebig, mehr Kohlenstoff aus, wie 
in höherer und wir müssen in dem nämlichen Verhältniß mehr oder 
weniger Kohlenstoff in den Speisen genießen, in Schweden mehr, wie 
in Sicilien, in unseren Gegenden im Winter ein ganzes Achtel mehr als 
im Sommer. Selbst wenn wir dem Gewicht nach gleiche Quantitäten 
Speise in kalten und warmen Gegenden genießen, so hat eine unendliche 
Weisheit die Einrichtung getroffen, daß diese Speisen höchst ungleich in 
ihrem Kohlenstoffgehalt sind. Die Früchte, welche die Südländer ge⸗ 
nießen, enthalten in frischem Zustande nicht über 12 Procent Kohlen— 
stoff, während der Speck und Thran des Polarländers 66 —80 Procent 
Kohlenstoff enthalten“ Aber was ist denn das für eine unendliche 
Weisheit und Macht, die erst der Folge eines Uebels, eines Mangels 
abhilft? Warum verhindert sie denn nicht das Uebel selbst? warum 
nicht die Ursache? Wenn der Wagen, in dem ich fahre, zusammenbricht, 
aber ich breche kein Bein, soll ich davon die Ursache der göttlichen Vor— 
sehung zuschreiben? Hätte sie nicht vorher den Bruch des Wagens ver— 
hindern können? Warum verhütet denn nicht die göttliche Weisheit und 
Güte die Kälte der Polarländer, die selbst Felsen bersten macht? Kann 
ein Gott nicht ein Paradies schaffen? Was hilft ein göttliches Wesen, 
das erst hinterdrein, erst post festum hilft? Ist das Leben der Polar— 
länder nicht trotz ihres kohlenstoffreichen Specks und Thrans ein höchst 
erbärmliches Leben? Wie will man also bei solchen Erscheinungen zur 
religiösen Vorstellung einer göttlichen Weisheit und Güte seine Zuflucht 
nehmen, da selbst die Religion die Welt, wie sie ist, wegen ihrer Wider— 
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