Full text: Vorlesungen über das Wesen der Religion (8. Band)

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wundern. Aber alle diese Schutzmittel sind bes chränkter Natur und 
eins mit der Beschaffenheit eines Organs, eines Wesens; aber eben 
wegen dieser ihrer Einheit mit der Natur eines Wesens, eines Organs 
sind sie keine Beweise von einem absichtlich und willkürlich schaffenden 
Wesen, und eben wegen dieser ihrer Beschränktheit keine Beweise eines 
allmächtigen und allwissenden Gottes, denn ein Gott schützt ein Wesen, 
ein Organ gegen alle nur immer mögliche Gefahren. Jedes Wesen 
ist geworden unter Bedingungen, die eben nicht mehr enthielten, 
als gerade zur Erzeugung dieses Wesens hinreichte, jedes Wesen sucht 
sich nach Kräften zu behaupten, sucht sich so viel als mög— 
lich, so viel, als es seine beschränkte Natur erlaubt, zu erhal⸗ 
ten; jedes Wesen hat einen Selbsterhaltungstrieb. Aus diesem Selbst⸗ 
erhaltungstrieb, der aber eins mit der individuellen Natur eines 
Organs, eines Wesens, aber nicht aus einem allmächtigen und all⸗ 
wissenden Wesen stammen die Waffen, die Schutzmittel der Thiere 
und Organe. 
Endlich muß ich noch eines Einwandes erwähnen, den die Theisten 
gegen die fruͤheren Atheisten oder Naturalisten vorbrachten, welche die 
Menschen und Thiere aus der Natur ohne Gott entstehen ließen, übri⸗ 
gens auf eine Art, die freilich keine genügende war. Wenn die Natur 
einst durch urspruͤngliche Erzeugung ohne schon vorhandene Thiere und 
Menschen Thiere und Menschen hervorbrachte, warum geschieht es 
denn jetzt nicht mehr? Ich erwidere: weil Alles in der Natur seine 
Zeit hat, weil die Natur nur etwas kann, wenn die dazu nöthigen Be⸗ 
dingungen gegeben sind; wenn also jetzt nicht mehr geschieht, was einst, 
so muͤssen damals Bedingungen vorhanden gewesen sein, die jetzt fehlen. 
Aber es kann einst eine Zeit kommen, wo die Natur dasselbe thut, wo 
die alten Thiergeschlechter und Menschen vergehen, und neue Menschen, 
neue Geschlechter erstehen. Die Frage, warum es jetzt nicht mehr ge— 
schieht, kommt mir gerade so vor, als wollte man fragen, warum trägt 
denn der Baum nur Fruͤchte im Herbste, nur Bluͤthen im Frühling, 
könnte er denn nicht in Einem fort ohne Unterbrechung blühen und 
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